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Sylvester Mazolini, Magister des heiligen Palastes in Rom, der selbst
öffentlich erklären konnte: „Es ist die reine katholische Wahrheit, wenn ein
Prediger versichert, daß die Seele in dem Augenblick aus dem Fegfeuer
fliegt, sobald der Groschen in den Kasten geworfen wird," daß sich der Ab¬
laß „nicht aus der heil. Schrift," aber aus den Satzungen der Päpste
Nachweisen lasse, ja „daß die Autorität der Päpste größer sei, als die
Autorität der h. Schrift." Solche Gegenreden konnte Luther nur mit dem
größten Unwillen aufnehmen, sie mußten ihn aber auch überzeugen, daß seine
Gegner auf dem Grunde der christlichen Wahrheit nicht standen. Des-
ohngeachtet trat er nur mit Schonung und Mäßigung ihnen gegenüber, ja
er sandte selbst Erklärungen zu seinen 95 Sätzen an den Papst mit einem
sehr demüthigen Schreiben, in welchem er des Papstes Autorität anerkannte,
aber auch mit der bestimmten Erklärung, daß ihm das Urtheil über die
Scholastiker und Canonisten, die man ihm etwa gegenüber stelle, sreistehen
müsse, daß er seine durch die h. Schrift wie durch die Autorität der älte¬
sten Kirchenlehrer bestätigten Lehrmeinungen nicht widerrufen könne, wofern
man ihn des Jrrthumes aus den genannten Quellen nicht überführe. Ob¬
wohl nun Luther und seine Anhänger zu Frankfurt an der Oder, zu Hei¬
delberg, zu Leipzig und an anderen Orten in öffentlichen Disputationen
den Sieg gewannen und alle Freisinnigen ihm beistimmten, wurde er doch
durch das Geschrei der Dominicaner, vorzüglich des Doctors Johann Eck
zu Ingolstadt, laut und öffentlich für einen gottlosen Ketzer erklärt und
Leo X. ließ ihn nach Rom vor seinen Richterstuhl fordern. Allein Kurfürst
Friedrich der Weise widersetzte sich diesem Ansinnen und forderte, daß
Doctor Luther in Deutschland verhört werde. Darauf kam der Cardinal
Cajetanus, vom Papste gesandt, nach Augsburg, wo auch Luther
erschien. Als aber der Prälat die Rechtfertigung und die Gründe des
Angeklagten nicht hören wollte, sondern nur hartnäckig darauf bestand, daß
Luther schlechterdings widerrufen solle, erklärte dieser, „daß er nicht wider¬
rufen könne und werde, so lange man ihn nicht aus der heiligen Schrift
genügend widerlegt habe." Der Cardinal gerieth hierüber so in Zorn, daß
er Luthern zurief: „Widerrufe oder trete mir nie wieder vor das Ange¬
sicht. Obschon Luther gerade durch dieses Wort des jCardinals einen
glänzenden Sieg über denselben erfochten hatte, war er doch ruhig genug,
den Sieg nicht weiter zu verfolgen, und an Cajetan noch ein Schreiben zu
richten, des Inhaltes, daß zwar die Wahrheit seiner bisher ausgesprochenen
Lehren feststehe, daß er aber ferner schweigen wolle, wenn auch seine Geg¬
ner schweigen wollten. Der Cardinal achtete nicht weiter auf diesen güt¬
lichen und billigen Vorschlag, ja Luther erhielt selbst die sichere Nachricht,
daß Cajetan damit umging, ihn des Nachts gewaltsam ergreifen und nach
Rom abführen zu lassen. Schnell sorgten jetzt Luther's Freunde für ein
Pferd, auf welchem er noch in derselben Nacht heimlich aus der Stadt ent¬
wich, nachdem er noch vor Notar und Zeugen ein Appellations-Instrument