Full text: Grundriß der deutschen Geschichte mit geographischen Uebersichten für die mittleren Klassen der Gymnasien und höhern Bürgerschulen

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Märchen, Erzählungen, Sagen, Fabeln und Parabeln. 
ich will's einmal lernen; deshalb bin ich ja ausgezogen." Er ließ dem 
Wirt auch keine Ruhe, bis dieser erzählte, nicht weit davon stände ein 
verwünschtes Schloß, wo einer wohl lernen könnte, was Gruseln wäre, 
wenn er nur drei Nächte darin wachen wollte. Der König hätte dem, 
der's wagen wollte, seine Tochter zur Frau versprochen, und die wäre 
die schönste Jungfrau, welche die Sonne beschiene; in dem Schlosse 
steckten auch große Schätze, von bösen Geistern bewacht, die würden dann 
frei und könnten einen Armen reich genug machen. Schon viele wären 
wohl hinein, aber noch keiner wieder herausgekommen. Da ging der 
Junge am anderen Morgen vor den König und sprach: „Wenn's er¬ 
laubt wäre, so wollte ich wohl drei Nächte in dem verwünschten Schloß 
wachen." Der König sah ihn an, und weil er ihm gefiel, sprach er: 
,,Du darfst dir noch dreierlei ausbitten, aber es müssen leblose Dinge 
sein, und darfst das mit ins Schloß nehmen." Da antwortete er: 
„So bitt' ich um ein Feuer, eine Drehbank und eine Schnitzbank mit 
dem Messer!" 
Der König ließ ihm das alles bei Tag in das Schloß tragen. 
Als es Nacht werden wollte, ging der Junge hinauf, machte sich in 
einer Kammer ein Helles Feuer an, stellte die Schnitzbank mit dem 
Messer daneben und setzte sich auf die Drehbank. „Ach, wenn mir's 
nur gruselte!" sprach er, „aber hier werd' ich's auch nicht lernen." 
Gegen Mitternacht wollte er sich sein Feuer einmal aufschüren; wie er 
so hineinblies, da schrie's plötzlich aus einer Ecke: „Au, miau! was uns 
friert!" „Ihr Narren," rief er, „was schreit ihr? Wenn euch friert, 
kommt, setzt euch ans Feuer und wärmt euch!" And wie er das gesagt 
hatte, kamen zwei große schwarze Katzen in einem gewaltigen Sprunge 
herbei, setzten sich ihm zu beiden Seiten und sahen ihn mit ihren feurigen 
Augen ganz wild an. Aber ein Weilchen, als sie sich gewärmt hatten, 
sprachen sie: „Kamerad, wollen wir nicht ein bißchen Karten spielen?" 
„Warum nicht?" antwortete er, „aber zeigt einmal eure Pfoten her!" 
Da streckten sie die Krallen aus. „Ei," sagte er, „was habt ihr lange 
Nägel! Wartet, die muß ich euch erst abschneiden." Damit packte er 
sie beim Kragen, hob sie aus die Schnitzbank und schraubte ihnen die 
Pfoten fest. „Euch habe ich auf die Finger gesehen," sprach er, „da 
vergeht mir die Lust zum Kartenspiel," schlug sie tot und warf sie 
hinaus ins Wasser. Als er aber die zwei zur Ruhe gebracht hatte 
und sich wieder zu seinem Feuer setzen wollte, da kamen aus allen Ecken 
und Enden schwarze Katzen und Äunde an glühenden Ketten, immer 
mehr und mehr, daß er sich nicht mehr bergen konnte; die schrien greulich, 
traten ihm auf sein Feuer, zerrten es auseinander und wollten es aus-
	        
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