Full text: Geschichte des Mittelalters (Theil 2)

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stauen, meinten sie, wohne eine göttliche und prophetische Kraft. 
Die Römer nennen eine gewisse Velleda, deren Wahrsagungen 
für wahre Orakclsprüche galten. Solche Frauen sah man oft 
an der Spitze ganzer Heere, wo sie durch ihre Weissagung die 
Scharen zum Kampfe und Siege begeisterten. Man gab diesen 
Frauen den Namen Alrunen. Auch gewisse Vögel, wie die 
Eule, der Rabe, der Kukuk, galten als schicksalverkündend; -— 
ein Aberglaube, der sich bis in die neueren Zeiten hinauf er¬ 
halten hat. 
Die große deutsche Nation bestand wohl aus mehr als 
fünfzig kleinen Völkerschaften. In Sitte und Lebensweise wichen 
sie wenig von einander ab. Liebe zur ungebundenen Freiheit 
war bei allen gleich groß. Wie einst die kleinen griechischen 
Völker, so lagen auch sie oft in Streit mit einander. Die 
schwächeren wurden von den mächtigeren bezwungen und ver¬ 
drängt, und verloren sich. Daher enstand ein häufiger Wechsel 
der Wohnsitze. Stämme, die bisher ganz unbekannt waren, 
erscheinen plötzlich und spielen eine Zeitlang eine wichtige Rolle, 
bis auch ihr Name sich endlich verliert und wieder anderen Platz 
macht. Bei diesem beständigen Wandern und Drängen ist cS 
fast unmöglich, den Zügen der einzelnen Stamme zu folgen. 
Auch traten zu gemeinsamer Vertheidigung oder gemeinsamen 
Angriffen wohl mehrere Stämme zusammen, schlossen Bündnisse 
mit einander und wurden alsdann mit einem gemeinsamen Namen 
benannt. Die schweren Kriege, welche sie mit den Römern zu 
führen hatten, gaben zu solchen Verbindungen mancherlei Ver¬ 
anlassung. Während sie aber im Verlaufe dieser Kriege im 
Auslande Eroberungen machten und neue Staaten gründeten, 
verloren sie die Hälfte ihres eigenen Landes an Fremde. Durch 
das immer weitere Vorrücken nach Westen wurde der östliche 
Theil Deutschlands nach und nach entvölkert. In diesen wan¬ 
derten neue Völker aus dem heutigen Polen und Rußland ein, 
die mit dem allgemeinen Namen Slaven benannt wurden.
	        
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