Full text: Grundlagen der deutschen Litteraturkunde (Abt. B)

Johann Heinrich Voß: Luise. 
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Mädchens für den Hauslehrer und Kandidaten Walter. Die zweite Idylle 
heißt „Der Besuch". Walter hat ein Pfarramt erhalten, sich mit Luisen 
verlobt und überrascht an einem kalten Wintermorgen die geliebte Braut 
durch einen Besuch. Die dritte Idylle, „Die Vermählung", giebt eine Be¬ 
schreibung der Vorbereitungen zur Hochzeit und Trauung und schließt mit 
der Schilderung des Schmauses in der Herrenstnbe und im Gesindezimmer. 
Aus der ersten Idylle. Das Fest im Walde. 
Als sie, das Linsenfeld und die bärtige Gerste durchwandelnd, 
Jetzo dem Hügel am See sich näherten, welcher mit dunkeln 
Tannen und hangendem Grün weißstämmiger Birken gekränzt war, 
Blickte zum buschigen Ufer Luis' hinhorchend und sagte: 
5 „Still! Es tönte mir dumpf wie ein Ruderschlag von dem Ufer." 
Aber der mutige Karl, der voranlief, wandte sich rufend: 
„Hurtig! Da seh' ich den Kahn. Nun gleitet er hinter das Schilfrohr." 
Und mit geflügelten Schritten enteilten sie; kühlender Seewind 
Hauchte zurück das Gewand, das die trippelnden Füße des Mägdleins 
10 Rauschend umwallt', und es weht' ihr geringeltes Haar von den Schultern. 
Laut nun rief und winkt' aus dem schwebenden Kahne der Pfarrer: 
„Ehrbar, Kinder, und sacht! Ihr lauft ja so rasch wie die Hühnlein 
Über den Hof, wenn die Magd an der Hausthür Futter umherstreut! 
Heida! wie saust das Gesindel herab von dem höckrichten Abhang! 
15 Töchterchen, geh' vorsichtig und strauchle mir nicht an den Wurzeln!" 
Also rief er; umsonst; sie entflohn unhemmbares Schwunges. 
Atmender harrten sie nun, bis der rauschende Kahn an dem Ufer 
Landete; und „Willkommen!" erscholl's, „willkommen im Grünen!" 
Hinten hemmte der Knecht, an der Erl' im Wasser sich haltend. 
20 Aber gestützt von der Hand des Jünglinges, traten die Eltern 
Über den wankenden Bord aus den Sand voll Kiesel und Muscheln, 
Wellig gestriemt von der Flut und umhüpft mit gehügeltem Seeschaum. 
Hans auch entstieg und knüpfte das hemmende Seil um den Baumstumpf. 
Schmeichelnd küßte den Greis die blühende Tochter und fragte: 
25 „Väterchen kommt ja so frühe vom Schlaf. Hat der häßliche Kater 
Wieder gemaut? Ein Hühnchen beim Eierlegen gekakelt? 
Oder Susanna zu laut mit dem Waffeleisen geklappert?" 
Drauf antwortetest du, ehrwürdiger Pfarrer von Grünau: 
„Soll ich dieses genau dir verkündigen, wie es geschehn ist? 
30 Weder gemaut hat ein Kater, mein Kind, noch ein Hühnchen gekakelt 
Oder Susanna zu laut mit dem Waffeleisen geklappert. 
Unser Gespräch und die Freude, mein Töchterchen, deines Geburtstags 
Machte mein Herz unruhig. Wohlauf nun, Feuer gezündet! 
Flink! und Kaffee gekocht! Die trautesten Kinder sind durstig." 
35 Jener sprach's; und in Eile gebot die verständige Hausfrau:
	        
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