Ich weiß es, nicht vergessen Es dröhnt mit dumpfem Schlage
habt ihr der armen Maid; die Brandung in mein Wort;
doch ist nur kurz gemessen der Sturm zerreißt die Klage
dem steten Gram die Zeit. und trägt beschwingt sie fort.
Wohl kommt ihr einst zu sühnen, O möcht' er brausend schweben
zu retten, ach, zu spät, und geben euch Bericht:
wann schon der Sand der Dünen „Wohl laß ich hier das Leben;
um meinen Hügel weht. die Treue laß ich nicht!“
Emanuel Geibel.
33. Der Findling.
Der Tag vor dem heiligen Weihnachtsfeste ging zur Neige.
Da lag in dem Saale eines schönen Schlosses der Leichnam eines
neunjährigen Knaben, angethan mit dem langen weißen Sterbehemde,
und das Haupt mit der wachsbleichen Stirne auf dem himmelblauen
und mit Silberspitzen besetzten Atlaskissen. Der Sarg stand auf
einem großen, weit ausgebreiteten schwarzen Tuch, und neben ihm
saß die Mutter des Kindes auf einem niedern Schemel, aber nicht,
wie vor Jahren neben seiner Wiege, wie sie oft selbst mit dem
Schlummernden geschlummert und leichte süße Träume gehabt hatte,
sondern von einem unaussprechlichen Schmerz betrübt. Hinter ihr
auf einem großen silbernen Armleuchter waren die drei schweren
Wachskerzen schon bis auf die Hälfte herabgebrannt, als vier schwarz
gekleidete Männer in den Saal traten, deren gleichgültige und nur
handwerksmäßig in Falten gelegte Gesichter bewiesen, es wäre nicht
bas erste Mal, daß sie der Mutter das Kind und den Kindern die
Mutter davontrügen. Der älteste Diener des Hauses ging ihnen
voran und suchte seiner Frau diesen bittersten Tropfen in ihrem
Leidenskelch zu versüßen. Sie wollten, sagte er, den jungen Herrn
Baron ja erst in das Leichenhaus bringen, und da werde er bei ihm
bleiben und nicht von seiner Seite weichen, bis er zu seiner Frau
Großmutter in die neue helle Gruft gebracht wäre. Dort könne
ihn die Frau Baronin besuchen, so oft sie wolle. Die vier Männer
aber in den langen, schwarzen Röcken und mit den Pilgerhüten auf
dem Kopf thaten sachte den Deckel auf den Sarg, griffen in die
Handhaben desselben und gingen mit ihm so stumm davon, als sie
gekommen waren. Die Mutler ließen sie in den Händen ihrer
Schwester zurück.
Indessen kämpfte draußen auf der Landstraße eine Stunde von
der Siadt ein kleiner Wanderer aus Savoyen mit Schnee und
Slurm. Die kleinen eisigen Flocken trafen ihn wie Nadelspitzen in
das Gesicht und auf die Hände, und auf den Wangen schmolzen sie
in den Thränen, die ihm von Kälte und Angst ausgepreßt wurden.
Seine müden Füße wollten ihn nicht mehr weiter tragen, und in
dem Walde, der sich noch zu beiden Seiten der Straße hinzog, war
alles wie ausgestorben; weit und breit, vor und hinter ihm, so weit
er zu sehen vermochte, wenn er einmal unter seinem tief in die