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(20. August 951). Noch in derselben Nacht wurde die Flucht fort¬
gesetzt, soweit die Füße' die Königin zu tragen vermochten. Beim
Anbruch des Tages verbargen die Flüchtlinge sich in einer Höhle.
Längere Zeit brachten sie dann in der gefahrvollsten Lage zu, indem
sie im Dunkel die eingeschlagene Straße verfolgten, beim Tages¬
anbruch aber sich in Grotten, Wäldern und Kornfeldern versteckten.
Denn schon verfolgten Adelheid ihre Kerkermeister. Einst, wird
erzählt, durchsuchten diese ein dichtes Kornfeld, in dem sich die
Königin verborgen hatte; sie durchstachen die wogenden Ähren mit
ihren Speeren und bogen die hohen Halme zurück; aber sie fanden
die Königin nicht, die wie durch ein Wunder ihren Händen entrann.
Die Flüchtlinge gelangten endlich an ein breites Wasser —
wahrscheinlich waren es die Kanäle und Sümpfe, welche der Mincio
bei Mantua bildet — hier ließ der Priester die Frauen zurück und
eilte zu Bischof Adelhard, um ihm zu melden, die Königin sei ent¬
ronnen und warte seines Beistandes. Tage und Nächte verlebten
die Frauen in der peinlichsten Ungeduld, in steter Furcht und Sorge
schwebend, zuletzt auch vom Hunger gepeinigt und auf das äußerste
erschöpft. Da kam endlich ein Fischer heran auf seinem Nachen;
er trug einen Stör, den er soeben gefangen. Verwundert sieht er die
Frauen und fragt, wer sie seien und wie sie in die Gegend kämen.
„Siehst du denn nicht,“ sagte Adelheid, „daß wir Fremde sind,
von aller menschlichen Hilfe verlassen? Wir leiden Gefahr, Hun¬
gers zu sterben; gib uns zu essen, Mann, und wenn du nichts hast,
so rate und hilf.“ Der Fischer fühlte Erbarmen, wie der Herr einst
mit den Hungrigen in der Wüste, und sprach: „Siehe, ich habe
nichts als Wasser und einen Fisch, um euren Hunger zu stillen.“
Er führte Feuer mit sich nach der Sitte der Fischer, und schnell lohten
helle Flammen auf, an denen der Fisch zum Mahle bereitet ward.
Beim ärmlichen Mahle saß die Königin, von der Magd und dem
Fischer bedient. Kurze Zeit darauf kehrte der treue Priester vom
Bischof Adelhard zurück und brachte die frohe Kunde, es nahe zu
Adelheids Schutz eine gewaffnete Schar, die Königin sei gerettet.
Die Bitter kamen, empfingen sie jubelnd, Bischof Adelhard selbst
zog ihr entgegen und führte sie erst nach Beggio, dann nach Ca¬
nossa, einer festen Burg unweit Beggio, die Atto, ein tapferer Vasall
des Bischofs, zu Lehen hatte.
Nach Canossa sandte Otto, sobald er in Pavia eingezogen war,
vertraute Männer als seine Boten ab, die mit reichen Geschenken
um Adelheids Liebe für ihn werben und die junge Köngin nach
Pavia einladen mußten. Willig versprach sie dem mächtigen Fürsten,
der sie so plötzlich aus der Tiefe des Elends zu der glänzendsten
Stellung erheben wollte, ihre Hand und eilte ihm entgegen, schon