fullscreen: Lesebuch für ländliche Fortbildungsschulen

58 II- Das Haus und seine Sitte, die Familie und ihre Glieder. 
beigegeben wird. Beide haben das Vermögen der Kinder so zu ver¬ 
walten, als wenn es ihr eigenes wäre; auch müssen sie dafür sorgen, 
daß alle Kinder eine gute Erziehung erhalten. So wird zwar für die 
Kinder gesorgt, aber die treue Liebe der Eltern wird ihnen doch in 
allen Ecken fehlen," bemerkte der Meister. „Das ist aber doch sehr gut, 
daß für solche elternlose Kinder so schön gesorgt wird; wer hat denn 
das angeordnet?" fragte Wilhelm. Der Meister erwiderte: „In 
Preußen wurde am 1. Januar 1876 eine neue Vormundschafts¬ 
Ordnung eingeführt, Nach derselben liegt die nächste Sorge für 
alle persönlichen Verhältnisse des Mündels dem Vormund ob. 
Früher war der Vormund nur den Gerichten Verantwortung schuldig. 
Allein die Gerichte erwiesen sich als Aufsichtsbehörde wenig geeignet, 
wie ihr aus der traurigen Tatsache ersehen könnt, daß ein großer 
Teil der vaterlosen, der ärmeren Klasse angehörenden Minderjährigen 
sittlichem Verderben und Verbrechen anheimfiel. Deshalb muß es sehr 
dankbar anerkannt werden, daß der Staat in der neuen Ordnung das 
Amt des Waisenrats eingeführt hat." „Da drüben der Herr 
Kohlmann wird ja Waisenrat genannt; bekleidet er ein solches Amt?" 
warf Konrad ein. „Jawohl!" sagte der Meister. „Für jede Gemeinde 
oder für jeden örtlich abzugrenzenden Gemeindeteil sollen ein oder 
mehrere Gemeindeglieder als Waisenräte ernannt werden. Der Waisen¬ 
rat hat die Aufsicht über die Tätigkeit des Vormundes zu führen. 
Mängel und Pstichtwidrigkeiten, die bei der körperlichen und sitt¬ 
lichen Erziehung des Mündels wahrgenommen werden, hat er anzu¬ 
zeigen." „Ich habe nicht gedacht, daß vom Staate so vortrefflich für 
die Waisen gesorgt würde. Aber was erhalten denn die Waisenräte 
für ihr Bemühen?" fragte Christoph. „Das Amt des Waisenrates ist 
ein Ehrenamt. Macht der Waisenrat die Sache der Waisen zu 
seiner eigenen Sache und widmet ihr alle Aufmerksamkeit, allen Eifer, 
wie seinen eigenen Angelegenheiten, dann wird er seine hohe Aufgabe 
lösen. In dem Bewußtsein aber, durch seine Teilnahme an der Heran¬ 
bildung schutzloser Waisen zu frommen Menschen und nützlichen Mit¬ 
gliedern der menschlichen Gesellschaft nicht bloß der Kirche, Gemeinde 
und dem Vaterlande, sondern der ganzen Menschheit einen Liebes¬ 
dienst erwiesen zu haben, findet er reichen Lohn für sein Tun. 
Möchten doch alle Waisen auch stets recht dankbar sein für die Wohl¬ 
taten des Staats! Ihr aber erkennt auch hieraus, daß wir alle Ursache 
haben, mit den Einrichtungen des Staates zufrieden zu sein," schloß 
der Meister. Aus: Schauzes Lesebuch f. Fortb. 
36 (39). Im Äusulgstübchen. 
Der Ausding heißt der kleine Anbau am Hofe, aus welchem 
heute der alte Bauer zum ersten Male herausschaut. Bei dem An¬ 
blicke des Lebens und Treibens auf dem Hose vergißt er jedoch, daß 
er das Gut übergeben und nichts mehr zu befehlen hat. „Ei, Marie," 
schreit er nach dem Brunnen zu, „hau' doch die Kuh nicht unnötig 
und laß sie in Frieden saufen; kannst doch die andern zurückhalten,
	        
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