Metadata: Zweites Lesebuch für die Oberstufe (Teil 6, [Schülerband])

Der Strauß. 
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Der Strauß ist ein vorsichtiges und scheues Tier, dem im offnen Felde 
nicht leicht beizukommen ist, weil er sehr weit sieht und sogleich die Flucht 
ergreift, wenn er Gefahr vermutet. Besonders sorgfältig suchen die Strauße 
den Ort zu verheimlichen, wo sie ihr Nest angelegt haben. Sie laufen nie 
gerade darauf zu, sondern pflegen es erst in weiten Bogen zu umkreisen, 
wogegen nach den Quellen, aus welchen sie zu trinken pflegen, immer gerade 
Bahnen getreten sind, die in den unbewohntesten Gegenden oft auf die Ver— 
mutung führen, es seien Fußsteige von Menschen. Sobald sie bemerken, daß 
ihr Nest entdeckt ist, und daß ein Mensch oder ein Raubtier dabei gewesen 
ist und die Lage der Eier verändert oder wohl gar davon mitgenommen hat, 
zerstören sie es augenblicklich selbst und legen ihr Nest an einem andern Orte 
an. Wenn daher die Kolonisten ein Nest finden, pflegen sie sich mit einem 
oder einigen der noch umherliegenden, noch nicht bebrüteten Eier zu begnügen, 
scharren mit einem Strauche sorgfältig die Spur ihrer Fußtritte wieder zu 
und können auf diese Art ein solches Nest zu einer wahren Fundgrube eines 
sehr angenehmen Nahrungsmittels machen, aus welcher alle zwei bis drei 
Tage so viel geholt werden kann, als die Haushaltung davon bedarf. 
Ein Straußenei wiegt gewöhnlich nahe an drei Pfund und wird im Durch— 
schnitt 24 Hühnereiern gleichgeschätzt. Der Dotter ist sehr schmackhaft, hat 
aber doch nicht den feinen Geschmack des Hühnereies Er ist dabei so nahr— 
haft und sättigend, daß man nicht viel davon genießen kann. Es gehören schon 
vier sehr hungrige Personen dazu, um ein ganzes Straußenei zu verzehren, und 
dann müssen es noch echte Afrikaner sein, die an so derbe Kost gewöhnt sind. 
Die Straußeneier halten sich lange frisch und werden oft nach der Kapstadt ge— 
bracht, wo man anderthalb Mark für das Stück zu bezahlen pflegt. In den 
Wintermonaten Juli, August, September findet man die Straußennester am 
häufigsten. Indessen werden zu allen Jahreszeiten Nester und bebrütete 
Eier gefunden, wie denn überhaupt bei dem in diesem Lande wenig be— 
merkbaren Wechsel der Jahreszeiten die Lebensart aller Tiere weniger 
Regelmäßigkeit zeigt als in Europa. Ein Straußenei wird 86 bis 40 Tage 
bebrütet, ehe das Junge auskommt. 
Nur das Männchen liefert die schönen, weißen Federn, die schon seit 
langer Zeit als Kopfputz unsrer Damen beliebt sind. An den Grenzen hin 
findet man fast bei jedem Kolonisten einen Vorrat davon, und wenn sie ihren 
Gastfreunden Geschenke machen, so sind dies fast allemal Straußen— 
federn. — Die Weibchen unter den Straußen sind ganz schwarz oder in 
jüngern Jahren dunkelgrau und haben im Schweife keine weißen Federn. 
Ihre Schwanzfedern sind indessen ebenso groß und, von der Farbe abgesehen, 
auch ebenso schön wie die des Männchens. 
Raxl Vogel.
	        
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