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feinen Charakter. In menschlicher Hoffnungsschwäche rechnete er immer
auf eine glänzende Lese, wie er sie ja kraft seines Fleißes, seiner
fränkisch beweglichen Findigkeit wohl verdiente, und bedachte nicht, daß
hier an der Nordgrenze des Weinbaues selbst im Schutze des Tamms
gewöhnlich ein Jahr um das andere dem Winzer statt des großen
Loses eine Niete in den Schoß fällt. Da kam über manchen der Ge
täuschten, der sich die Taler des guten Jahres nicht auf¬
gespart hatte, Verschuldung, mau verpfändete den „Herbst", ehe
noch die Träubchen schwellten, griff häufiger, als es selbst einem
trunkfesten Rheingauer bekommt, zum Glase, dem trügerischen
Sorgenbecher, und verlumpte schließlich. Doch das Unglück der
Genossen hat zum Glück andere zu besserer Einsicht gebracht, die nun
wieder bescheiden znm bäuerlichen Handwerk zurückkehren und die für
die Rebe minder günstigen Lagen in Feld und Wiese wandeln.
Das deutsche Volk feiert nirgends Festtage von so südländisch
ausgelassener Fröhlichkeit unter freiem Himmel, als wenn es am
Rhein zum „Herbsten" geht; doch in den von den Schieferfelsen wider¬
hallenden Winzerliedern erklingt die Freude am Gelingen monatelanger,
harter Arbeit. Denn anch der Bacharacher und Aßmannshauser hat
so wenig wie der Johannisberger Fener und Blume ohne Zutun des
Menschen empfangen. Überall prüft der Weinbauer gar fürsorglich,
welche Rebenart der Bodenmischung und Anslage seines Reblandes
wohl am meisten zusage. Der Boden alter nnd vielbebauter Wein¬
berge wird, sobald er Spuren von Erschöpfnng zeigt, ruhen gelassen
oder ein paar Jahre mit anderen Früchten bepflanzt; dann beginnt
eine vollständig neue Anrodung, wodurch die frühere Decklage des
Bodens wohl drei Meter hinabgebettet wird, auf daß der tief¬
wurzelnde Weinstock der neuen Pflanzung ganz frischen, nnverbrauchten
Nährboden findet. Mühsam wird darauf das Erdreich gedüngt, lind
müßte man anch die kleinen Häuflein des Dungs, an alpenhaft steiler
Schieferwand von Stufe zu Stufe klimmend, auf der Schulter hinauf¬
tragen; ferner gilt es, die wachsenden Reben sachgemäß zu pflegen,
zu rechter Zeit zu schneiden, den Boden immer fleißig aufzulockern,
Terrassen nebst niedrigen Mauerzügen zum Schutze vor Winden oder
zur Besserung und Verstärkung der Einstrahlung der Sonne anzulegen,
schließlich sorgsame Auslese zu halten, damit nur das Allerbeste reife.
Praktische Weisheit zahlloser Winzergeschlechter ist in diesem Hand-
lverksschatze unserer rheinischen Weinbauern aufgehäuft, und wie
scharfblickend dabei jede örtliche Eigentümlichkeit behandelt sein will,