Full text: Ein Lese- und Lehrbuch für obere Klassen der Volksschulen (Theil 4)

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Behauptungen. Glaubenszweifel standen manchmal in ihm 
auf, die er nicht zu lösen wußte, die er vielmehr durch 
manche Vorurtheile noch nährte. Tezels Mißbrauch mit 
dem Ablasse gab ihm Gelegenheit, seine Ansichten öffentlich 
zu erklären. Er schlug 15i7an die Schloßkirche zu Witten¬ 
berg 95 Sätze, in welchen er nicht den Ablaß selbst, son¬ 
dern zunächst gegen Tetzel und deffen Anhang einige ver¬ 
kehrte Ansichten von demselben und dessen verkehrten Ge¬ 
brauch tadelte. Diese Sätze waren durch die kurz vorher 
erfundene Buchdruckerkunst bald über ganz Deutschland 
verbreitet. Sowol die Sache selbst, als auch der Eifer 
und die Kraft, mit welcher Luther sie vertheidigte, und die 
Unbesonnenheit und Heftigkeit: seiner ersten Gegner gewan¬ 
nen dem Luther schnell viele Anhänger. Es entstand ein 
gelehrter Streit, der nicht bloß aus den Ablaß, sondern auf 
die wesentlichsten Punkte des Glaubens überhaupt gerichtet 
war. Weil aber Luthers Behauptungen so vielfach von 
der Lehre der Kirche abwichen, riefPapst Leo ihn zur Ver¬ 
antwortung nach Rom, gestattete indeß aus Verwenden des 
Churfürsten von Sachsen, daß er sich vor dem päpstlichen 
Legaten Cajetan zu Augsburg .rechtfertige. Dieser forderte 
kurzweg Widerruf von ihm, wozu sich Luther aus Stolz 
nicht verstehen wollte. Später gestand er dem päpstlichen 
Kammerherrn von Miltiz, daß er lieber durch gegenseitiges 
Stillschweigen die Sache beendigt sähe. Allein dazu war 
es schon zu weit gekommen, indem nicht mehr einzelne 
Männer, sondern zwei große Parteien einander gegenüber 
standen. Luther kam bald darnach bei einer öffentlichen 
Zusammenkunft in Leipzig durch die schlagenden Beweise 
seiner Gegner so ins Gedränge, daß er, anstatt seine ir¬ 
rigen Behauptungen einfach und demüthig zurückzunehmen, 
vielmehr die Echtheit des Briefes Iacobi, den Vorrang 
des Papstes und die Unfehlbarkeit der Kirche leugnete. 
Er trat nun immer kühner mit seinen Irrthümern hervor, 
und verlangte 1520 in seiner Schrift: „An die christ¬ 
lichen Fürsten deutscher Nation," den Sturz der kirch¬ 
lichen Verfassung, die Einziehung der Kirchengüter, die 
Aufhebung der Festtage und der Seelenmessen. Bald ver¬ 
warf er auch die h. Firmung, Oelung, Priesterweihe und 
Ehe als Sakramente, das h. Meßopfer und die Beichte. 
Dadurch zog er bei der Unwissenheit des Volkes, der Hab-
	        
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