Full text: Ein Lese- und Lehrbuch für obere Klassen der Volksschulen (Theil 4)

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stützt hatte. Sein Gesicht war blaß und abgezehrt, und 
seine Augen waren trübe von Thränen. Ich hörte, indem 
ich hinter dem Busche stand, ihn traung mit sich selber 
sprechen. „Guter Gott," sagte er, „erbarme dich des Jam¬ 
mers! Mein armes Weib! meine armen Kleinen! — Aber 
ich kann nicht mehr vor Mattigkeit." Indem er das sagte, 
sank er mit dem Kopfe auf sein Bündel. Ich blieb noch 
eine Weile stehen; und da ich sah, daß er eingeschlafen war, 
schlich rch zu ihm und legte das Abendbrod, daß ich mei¬ 
nem Bruder bringen sollte, neben ihm auf das Holz Dann 
lief ich zur Mutter, bat sie um mem eigenes Abendbrod, 
und brachte es meinem Bruder. Indem ich nun zurückkam 
und wieder an den Busch trat, hinter dem der alte Mann 
lag, weckte ihn mein Geräusch. „Was sehe ich?" rief er aus, 
als er das Butterbrod und die Flasche Milch erblickte. „Ist 
ein Engel Gottes hier gewesen, um mich und meine Kinder 
vom Tode zu retten? Aber wer du auch gewesen bist, liebe 
Seele, die du dieses Labsal für uns hingelegt hast; Gott 
segne, Gott belohne dich!" — Die Thränen flössen ihm dabei 
über die Wangen. — „Doch," fuhr er fort, „ich Unglück¬ 
licher! Wie werde ich den Weg aus diesem Walde finden? 
Gott wird mich leiten, daß ich meinen armen Kleinen diese 
Erquickung bringe." Er stand, indem er dies sagte, mit vie¬ 
ler Mühe auf, belud sich wieder mit seinem Bündel Holz 
und schlich gebückt und ächzend fort. Ich selbst nahm einen 
Umweg, lief eine Strecke vor und kehrte wieder um, 
ihm zu begegnen. „Gott grüß Euch! guter Vater," sagte 
ich, als ich bei ihm war. „Es wird Euch wohl recht sauer, 
so viel zu tragen? Gebt mir die Flasche Milch und das 
Brod; ich will es tragen für Euch und will Euch führen, 
wenn Ihr Eure Hand auf meine Schulter legen wollt!" 
Ich fragte ihn, wohin er wolle, und führte ihn zum Walde 
hinaus. Er erzählte mir mit nassen Augen, wie Gott 
während seines Schlafes für ihn gesorgt habe, und 
bedauerte nichts mehr, als daß sein Wohlthäter ihm unbe¬ 
kannt geblieben sei. „Alle Morgen," sagte er, „und alle 
Abend sollen meine Kleinen mit mir für ihn zu Gott beten: 
denn er hat vom Tode uns gerettet. Auch du, mein 
Sohn," setzte er hinzu, „sollst gesegnet werden, daß du 
mich führest zu meinen Kindern, ehe sie Hungers sterben." 
-Ich brachte ihn bis nahe zu seiner Hütte. Jetzt eben stellte
	        
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