Full text: Vaterländische Bilder aus Ungarn und Siebenbürgen (Bd. 3)

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Gebirgsformen der Tatra. 
Denn die Ausgrabungen sind nicht mit solcher Umsicht vorgenommen worden, daß 
sie nähern Aufschluß über die Art gäben, wie die Thiere in die Höhle kamen. — 
Doch kehren wir nun wieder zur Oberwelt und in die Jetztzeit zurück! 
Als furchtbar kahle Granitkolosse erheben sich die Kegelspitzen der Tatra in 
abenteuerlichen Gestalten aus den finsteren Nadelwäldern und schauerlichen Thal¬ 
schluchten und zeigen die schmalen Graten des scharfen Kammes, den Krumm¬ 
holz, Wiesen, Flechten und Steintrümmer bedecken. Schroff und jäh stürzen die 
Seiten als glatte Felswände hinab in die Hochthäler, in denen Bäche in Cas- 
eaden über die Treppen hinabgerollter Steinblöcke rauschen. Kein Gesträuch, 
keine Pflanze findet Raum und Erdreich an den steilen Granitwänden, um 
Wurzel darin zu schlagen; in wild zertrümmerter, zerklüfteter und zerrissener Ge¬ 
stalt ragen die Klippen, Vorsprünge und Widerlagen empor, wogegen klare, 
helle Seen aus den kraterartigen Tiefen zum Himmel emporschaucn und das 
Herbe der Felsenwüfien sänstigen. Einige Tausend Fuß vom Kamme' herab sieht 
Alles weiß, steinig und öde aus, indeß sich unterhalb ein dunkelgrüner Gürtel 
herrlichen Waldes über die ganze Länge des Gebirges hinzieht. Einer Mauer 
ähnlich erhebt sich das Gebirge aus dem ebenen Grunde. Keine langsam herab- 
fiießenden Bergflüsse, keine grünen Querthäler sind dazwischen, sondern starre Wild¬ 
heit , finstere Erhabenheit gewaltiger Massen. Diese Massenhastigkeit hat eine 
abschreckende Majestät; chaotisch übereinander geworfene und hoch gethürmteFels¬ 
blöcke , in Staubregen sich auflösende Wasserfälle an oft senkrechten Wänden, 
festungsartig aufgeschichtete, moosige Wände, schauerliche Thalspalten blau- 
grauer Kalksteine, eine Menge kleiner Brücken und Viehstcge über denselben, 
phantastische Felsgestalten, die bald Burgruinen, bald einem betenden Mönch, 
bald einem Ritter oder Adler mit ausgebreiteten Flügeln gleichen, tcrrassenartig 
über einander aufsteigende Fichtenwaldungen — das sind die Scenen dieser Gebirgs- 
wildnisse. Viehstcigc, einfache Salaschen als Sennhütten beleben im Sommer 
die Alpenwiesen des Gebirges und bringen in die stumme Welt der Hörner, 
Zinnen und Thürme einige Spuren menschlicher Thätigkeit. Denn in den übri¬ 
gen Jahreszeiten kennt das Gebirge, in dessen wilde Einsamkeit sich das Bad 
Schmccks eingenistet hat, nur blutige Seencn aus dem Thierleben. Die Gemse 
weidet auf den hohen Gebirgsgraten würzige Kräuter, aus den Felszacken baut 
der Adler sein kunstloses Nest und späht von hoher Felsenwarte nach Beute, 
während die Schluchten und durch einander geworfenen Felsblöcke den Wölfen 
und Bären bequeme Lagerstätten gewähren. Hoch steigt der Adler in die Luft und 
schwebt in langsamem Fluge über den Felsen und Wäldern, bis er auf nackter 
Berghöhe eine Gemse erblickt. Im Nu schießt er herab, packt sie mit seinen scharfen 
Krallen im Genick und reißt ihr mit seinem spitzen Schnabel die Pulsader auf. 
Von Todesangst ergriffen bäumt die Gemse hoch auf, thut einige verzweifelte 
Sätze und rollt sterbend den steilen Berghang hinab in eine Schlucht. Der Adler 
muß die Beute fahren lassen, muß sie in den Abgrund stürzen sehen, wo ein Rudel 
hungriger Wölfe die willkommene Speise findet, dem sie der Adler nicht entreißen 
kann, obschon er wiederholt niederschießt, mit sausendem Flügelschlag und grel-
	        
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