Full text: Ein Lese- und Lehrbuch für obere Klassen der Volksschulen (Theil 4)

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wollene Handschuhe auf den Winter für dich bestellt, damit 
dich nicht so frieren soll, liebe Mutter; und in kom¬ 
mender Woche, an deinem Namenstage, wollten wir mit 
allem diesen dich überraschen. Ich wollte die Aepfel und 
Nüsse in unserm kleinen Armkörbchen, und Karl die Hank- 
lchuhe auf einem neuen irdenen Teller dir bringen. Siehst 
du, nun weißt du Alles, liebe Mutter! Aber, ach, nun 
ist dir die Freude verdorben ' — 
Mutter. (Mit Thränen der Freude und voll Zärt¬ 
lichkeit.) Nicht verdorben, lieber Fritz! meine Freude ist 
nun doppelt groß. Ach, verzeihe mir den Verdacht; er 
kam aus Liebe zu euch. Ihr' sollt lieber sterben, als 
unehrlich sein. 
Fritz. Aber, liebe Mutter, der arme Karl würde weinen, 
wenn du ihm sagtest, daß du ihn für so böse gehalten 
hast! Er hat sich auf deinen Namenstag so herzlich 
gefreuet! Laß uns schweigen von deinem Verdachte, und 
rhn auch nicht wissen, daß sein Geheimniß verrathen ist. 
Mutter. Recht so mein lieber Fritz! Unserem Karl soll 
die Freude nicht genommen werden; mir thut es leid 
genug, daß sie dir verdorben ist. 
Fritz. O nein, .0 nein, liebe Mutter! keine Freude 
verdorben! Gibt es wol eine größere für mich, als die, 
daß du keinen Kummer mehr hast? 
Wer sein Gewissen rein erhält, 
lebt himmlisch froh in dieser Welt. 
99. Die Waise. 
Emilie war ein gutes Kind. Sie konnte Niemanden 
ungerührt leiden sehen. Eines Tages kam ern zehnjähriges 
armes Mädchen in das Haus ihrer Eltern, und bat um 
Almosen. Emilie fragte das Mädchen, wie es heiße, und 
wie es dazu komme, Almosen zu bitten. Das Mädchen 
antwortete in rührendem Tone: Ich heiße Marie, und 
bin hier geboren. Um unsern Unterhalt besser zu ver¬ 
dienen, zogen meine Eltern von hier weg. Ich hatte einen 
guten Vater, aber ach! Gott nahm ihn mir ba>d Er starb, 
als ich acht Jahre alt war, und ließ meine Mutter und 
mich in großer Armuth zurück. Was er mit sauerer Mühe 
erworben hatte, mußte während seiner langwierigen Krank¬ 
heit für Arzner verwandt werden. W'r beweinten lange
	        
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