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22.
Nagasaki.
Hans Meyer.
Der Morgen (29. Dezbr. 1882) brachte mit der Nähe des Landes prächtig
helles Wetter. Die See war in vollkommener Ruhe, und der Schwärm der
Möwen, die sich hinter dem am Achter (Schiffshinterteil) flatternden japa-
nischen Banner (rote Sonnenscheibe im weißen Feld) lustig jagten, wuchs
von Stunde zu Stunde. Schon war, wie der Kapitän behauptete, seru
links im Norden ]) die zu Korea gehörende Insel Qnelpart sichtbar ge-
worden, und bald erschienen gerade vor uns im Nordost die ersten Streifen
der Gotto-Juselu, das erste Stück Japan. Nach zwei Stunden liefen
wir an ihnen vorbei, nahe genug, um über den umbrandeten Granit-
selsen die vereinzelt stehenden, für Japans Landschaften so sehr charak-
teristischen Föhren zu erkennen, und dann dehnte sich vor uns die bergige
Südwestküste von Kiusiu, Japans drittgrößter, südlichster Insel, ans.
Wir steuerten in gerader Linie auf das als Schauplatz einer grausamen
Christenverfolgung bekannte Papenberg los, das sich jetzt als Jnselchen
vom dunstigen Hintergrund abhob, bogen kurz davor nach Südosten ab
und traten gegen 10 Uhr in die liebliche, formensanfte Bai von Naga-
sali, wo die „Genkai-Maru" 2) zwischen japanischen Küstenbooten, eng¬
lischen und deutschen Seglern und amerikanischen Dampfern Anker warf.
In einem flachen Kahne (Sampan) ruderten uns zwei sehnige, mit Stroh-
mänteln bekleidete Japaner an den alten, verfallenden Quai3), wo ich mit
einem frohen „Hurra, Japan!" über die hohe Ufermauer aus Land
sprang. So war ich denn wirklich am Ziel, im äußersten Osten Asiens;
fünfzehn Monate hatte es gewährt, bis ich mich zum „Reich der auf-
gehenden Sonne" durchgeschlagen hatte, 10000 und mehr Seemeilen
trennten mich von der Heimat!
In wenigen Minuten waren wir von einer Rotte schreiender Kulis
umringt, welche die Vorzüge ihrer Dschiurikischas4) lebhaft gestikulierend
anpriesen und uns auf den Fersen folgten, als wir unsere Fußwanderung
an den europäischen Häuserreihen des Quais entlang antraten. Hier liegen
hinter kleinen, umzäunten Borgärtchen die im Stil deutscher Durchschnitts-
Villen erbauten Wohnungen und Bureaux der europäischen Konsuln und
Kaufleute, woran sich nach hinten und nach beiden Seiten die japanische
Stadt anschließt. Die Straße ist still, wie die ganze Reede. Einige
1) Der Reisende kam von Schanghai. — 2) Name des japanischen Dampfers,
welchen der Reisende benutzte. — 3) Das gemauerte Ufer, der Verladeplatz. — 4) Zwei-
räderige, von Menschen gezogene, zum Personentransport bestimmte Fuhrwerke.