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8. So der Herr will.
Ein Bauer ging über Feld auf einen Markt. Untcrwcgcs be¬
gegnete ihm ein Bekannter und fragte, wohin er gehe. Der Bauer
antwortete: „Ich gehe auf den Markt und kaufe mir ein Paar
Ochsen." „So der Herr will!" setzte jener wohlmeinend hinzu.
Der Bauer erwiderte dreist: „Das habe ich nickt nöthig; ich habe
mein Geld für die Ochsen in der Tasche." Es war schon ziemlich
spät und des Tages über tiefer Schnee gefallen. Der Bauer ver¬
fehlte den Weg, wurde von einem Unbekannten noch weiter irre ge¬
führt und endlich gar seiner Barschaft beraubt. — Nach einigen
Tagen kehrte der Bekannte im Bauernhöfe ein und fragte nach ds^n
neuen Ochsen. Der Bauer antwortete ganz kleinlaut: „Freund,
du hattest Recht; ich muß gvttesfürchtiger werden."
Jac. 4, 15. Ihr solltet sagen: So der Herr will unb wir
leben, wollen wir dies oder das thun.
!). Alle Welt fürchte den Herrn; denu wer unter Gottes Hand
sich nicht biegen will, muß drunter brechen.
Ein Dachdecker arbeitete hoch oben auf der Spitze eines Kirch¬
turmes. Da riß das Seil, mit beut er sich am Knopfe befestigt
hatte unb er fiel vom Turme herab auf das Kirchdach. Hier wollte
er sich halten; aber er rollte vom Dache hinab auf den Linden¬
baum, der an der Kirche stand. Hier wollte er sich wieder halten;
aber die Aefte brachen unb er siel von Ast zu Ast und endlich her¬
ab auf das Pflaster. Die Leute hatten mit einem Geschrei des Ent¬
setzens ihn fallen sehen, rannten herbei und meinten ihn zerschmet¬
tert zu finden; aber der Dachdecker lebte und war ganz unversehrt
und rieb sich die Augen; denn er wusste gar nicht, wie ihm gesche¬
hen war.
Mittlerweile mehrte sich der Menschenhaufe um ihn, und jeder
ließ sich die Geschichte erzählen unb endlich rief ein Wirt: „Daö
ist doch zn wunderbar! Der Tag muß gefeiert werden; kommt mit
in mein Hans, der Mann muß sichs heute einmal wohl sein las¬
sen!" Gesagt, gethan! Zwei nahmen den Dachdecker in die Mitte,
die andern folgten, unb im Triumph gings ins Wirtshaus, wo
gezecht, gelärmt tmd Vivat gerufen wurde bis iu die späte Nacht.
Der Dachdecker wollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen,
auf fremde Kosten sich gütlich zu thun, aß ltub trank und hörte
dabei nicht auf, immer wieder voit neuem die Geschichte seines wnu-
derbaren Sturzes ju erzählen. Des lieben Gottes, der scineit En¬
geln über ihm Befehl gethan, gedachte er babei mit keiner Silbe;
vielmehr erzählte er den Hergang also, als sei das tlicht Gottes
Beschirmung, sondern eine besondere Geschicklichkeit und Besonnen¬
heit von ihm selber gewesen, zuerst auf das Dach, dann auf den
Liudenbaum und dann ganz allmählich von Ast ztl Ast bis herun¬
ter auf das Pflaster zu fallen, und zuletzt vermaß er sich sogar,