Full text: Größeres Handbuch für Schüler zum Gebrauche bei dem Unterrichte in Bürgerschulen und höheren Unterrichtsanstalten

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VII. Aus der Natur. 
Gegen seinen Herrn ist er stets im höchsten Grade unterwürfig, 
er fürchtet nicht nur die Schläge, sondern schon den Unwillen, das 
Wort, den drohend verweisenden Finger. 
Sehr artig ist zu sehen, wie er seinen Herrn sucht. Er läuft mit 
gesenktem Kopfe die Straße entlang, steht still, besinnt sich, kehrt wieder 
um, bleibt an der andern Ecke der Straße wieder still stehen, denkt 
mehr, als er schaut, beschreibt Diagonalen, um schneller irgendwo zu 
sein u. s. w. Wenn er ausgehen will und nicht soll, sucht er seinen 
Herrn zu überlisten, tut, als wenn er nicht fort wolle, und nimmt 
dann, wenn man nicht auf ihn achtet, plötzlich Reißaus. 
Je gutmütiger und verständiger er ist, um so minder ist er ein 
guter Hauswächter und Verteidiger seines Herrn. Er liebt und schätzt 
alle Menschen; will man ihn gegen jemand aufreizen oder hetzen, 
so schaut er seinen Herrn und dessen Gegner an, als ob er denke, es 
könne seinem Herrn nicht möglich sein, ihn auf einen seinesgleichen 
zu hetzen. Man könnte seinen Herrn ermorden, ohne daß es ihm ein¬ 
fiele, ihm beizustehen. 
Pferde und Hunde erschrecken unter allen Tieren am leichtesten, 
der Pudel kann sogar erstaunen. Ein Pudel verfolgte einst einen 
Raben auf einer Wiese. Der Rabe stellt sich gegen ihn; auf einmal 
ruft er den Hund an: „Spitzbube, Spitzbube!" — erschrocken fährt 
der Hund zurück, sein Verstand stand ihm still: ein Tier, ein Vogel 
und — eine Menschenstimme! 
Der Pudel ist nie gern allein; immer sucht er Menschen auf. 
Mit anderen Hunden gibt er sich nicht gern ab; will er spielen, so 
tut er's mit Pudeln, wenigstens vorzugsweise. Mit solchen belustigt 
er sich dann sehr. Andere Hunde scheint er zu hassen, oder sie hassen 
ihn, wahrscheinlich weil sie ihn als einen besonderen Menschenfreund 
und verzogenen oder als den höchstbegabten unter den Hunden ansehen 
und ihn darum nicht leiden mögen. 
Der Pudel liebt die Freiheit ungemein. An der Kette liegt kein 
Hund gern, aber am allerwenigsten der Pudel. Er versteht, sich davon 
auf alle Weise loszumachen, und erprobt darin seine Künste. Von 
seiner Erfindungsgabe, sich zu befreien, erzählt Giebel eine anmutige 
Geschichte. „In einer der Hundesteuer unterworfenen großen Stadt 
fing der Abdecker, wie üblich, alle markenlosen Hunde ein und steckte 
groß und klein, alt und jung, schön und häßlich in einen weiten 
Schuppen, wo sie ihr unverschuldetes Unglück in dem lautesten Jammer¬ 
geheul beklagten. Der verständige Pudel allein saß ruhig, in sein 
Schicksal ergeben, im Winkel des Gefängnisses und sah bald, auf 
welche Weise die Tür geöffnet wurde. Der Weg zur Freiheit war 
ihm damit gezeigt. Er ging flugs an die Tür, zog mit der Pfote
	        
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