Full text: Der neue Kinderfreund

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Seiten der Finanz betrachtet, die durch Entvölkerung 
der Länder verliert, und bei Wohlstand und Erhaltung 
nützlicher Individuen gewinnt, fallen alle Einwürfe der 
Anfklärungsfeinde dahin. Oder gehört etwa nicht zu 
jedem Thun und Lassen und Gewerbe Nachdenken und 
Vordenken, damit cs gelinge? Der Dumme denkt aber 
nicht gehörig weder nach, noch vor; weiß sich nicht zu 
helfen, kann guten Rath nicht würdigen, und wird eben 
darum ein Opfer der Ereignisse. In bittern Gram ver¬ 
senkt über diese schrecklichen Folgen der Dummheit und 
Unwissenheit, saß ich einstmals (es war am 4ten Februar 
1772) an meinem Schreibtische und zeichnete einen Lö¬ 
wen, der in einem Netze verwickelt daliegt. — So, dachte 
ich, liegt auch die edle kräftige Gottesgabe, Vernunft, 
die doch jeder Mensch hat, in einem Gewebe von Vor- 
urtheilen und Unsinn dermaßen verstrickt, daß sie ihre 
Kraft so wenig, wie hier der Löwe die seinige gebrau¬ 
chen kann. Ach! wenn doch eine Maus da wäre, die 
einige Maschen dieses Netzes zernagte! vielleicht würde 
dann dieser Löwe seine Kraft äußern, und sich loS ma¬ 
chen können. Und nun zeichnete ich gleichfalls als Ge- 
dankcnspiel, auch die Maus hin, die schon einige Maschen 
dcS Netzes, worin der Löwe verwickelt liegt, zernagt 
hat. Wie ein Blitzstrahl fuhr mir der Gedanke durch 
die Seele: Wie, wenn du diese Maus wärest? — Und 
nun enthüllte sich mir die ganze Kette von Ursachen und 
Wirkungen, warum der Landmann so sey, wie er ist. 
Er wächst auf als ein Thier unter Thieren. Sein Un¬ 
terricht kann nichts Gutes wirken. Der gröbste Mecha¬ 
nismus herrscht in seinen Schulen. Sein Prediger 
spricht hoch - und er plattdeutsch. Beide verstehen sich 
nicht. Die Predigt ist eine zusammenhängende Rede, 
die er wie zur Frohnc hört, weil sie ihn ermüdet, indem 
er, an Aufmerken und Periodenbau nicht gewöhnt, ihr 
nicht folgen kann, ja selbst, wenn sie gut ist, (und wie 
oft ist sie dus?) daS Bündige derselben bei ihm nicht 
Ueberzeugung wirkt. Niemand bemüht sich, die Seelen 
seiner Jugend zu veredlen. Ihre Lehrer sind, wie Chri¬ 
stus es nennt, blinde Leiter, und so leidet denn der 
Staat bei diesem Austande der Sachen (nach welchem 
sein Flor sich in einem beständigen Kriege gegen die ver-
	        
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