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60. Das Testament.
Äls Helnkich gefährlich krank war, sagte der Prediger
zu ihm: „Wollt ihr nicht etwa ein Testament machen,
„und in diesem letzten Willen über euer Vermögen und
„euern Nachlaß etwas festsetzen?" „Lieber Herr Predi»
„ger," sagte Heinrich, „daS habe ich längst in gesunden
„Tagen gethan, um auf meinem Sterbebette nicht damit
„beschäftigt zu seyn. Ich habe meinen letzten Willen,
„oder Testament selbst geschrieben, /-iid bei unserm Ge-
„richte niedergelegt." Da lobte der Prediger diesen
verständigen Mann, der nicht allein die Ordnung ge¬
liebt, sondern auch bei gesunden Tagen an den Tod ge¬
dacht hatte.
Bedenke das Ende deines Lebens oft; so wirst du
in allen Stücken weislich handeln.
61. Der sterbende Jüngling.
Ein junger Mensch, der in der Schule sehr fleißig und
seinen Aeltern gehorsam war, lag tödtlich krank. Die
Aeltern hatten gleich bei dem Anfange der Krankheit ei¬
nen verständigen Arzt zu Rathe gezogen; aber die Krank¬
heit war nicht zu heilen. Sie betrübten sich nun sehr,
als sie sahen, daß sie ein so wohlgerathenes Kind ver¬
lieren sollten, und weinten bitterl^h^au seinem Bette.
Da sprach er folgende merkwürdige Worte: „Weinet
„und betrübet euch über meinen Tod nicht allzusehr, gc-
„liebte Aeltern! Gott laßt aus weisen Ursachen einen
„früh, den andern spät sterben. Wer Liebe und Ver-'
„trauen zu ihm hat, ist niemals und auch im Tode
„nicht unglücklich. Dieser Glaube macht mich jetzt ge¬
trost. Mein Tod ist ja nur eine Veränderung meines
„Zustandes; ich komme aus dem bisherigen in einen
„bessern Zustand; sollte ich mich denn nicht freuen? Und
„da ich weiß, daß ihr mir alles Gute gönnt, liebe Ael-
„tern, so freuet euch auch! Und habt vielen Dank, daß
„ihr mich fleißig zur Schule gehalten; denn da lernt
„man, wie man tugendhaft und glücklich leben, und
„dann in Frieden sterben kann." —
Der Tod ist nur denen schrecklich, die wenig gute
Erkenntnisse haben, und von den väterlichen Absichten