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lich mit einander reden, als wenn wir beisammen wä¬
ren. Euer lieber Brief hat mich recht gestärket. Ihr
habt wohl Recht, liebe Mutter, daß Ihr mich vor
Müßiggang warnet. Auf dem Lande, wenn ich meine
gewöhnliche Arbeit gethan hatte, dann ging ich in den
Garten oder auf das Feld, und half, wo ich arbeiten
sah. Aber hier ist daS alles nichts. Dafür haben wir-
aber auch hier oftmals Wochenpredigten. Dann arbeite
ich vorher fleißig, und wenn es sich schicken will, so
bitte ich meine Herrschaft um Erlaubniß, in die Wo¬
chenpredigten zu gehen.
Meine Herrschaft ist zufrieden mit mir, und ich mit
ihr. Meinen Mitbedienten begegne ich höflich, wie eS
sich für ein so junges Mädchen schickt, und wenn sie
manchmal, auch mit Unrecht, auf mich schelten, dann
schweige ich still. Ich denke, wenn mich mein Gewissen
nicht schilt, so werden mir unverdiente Scheltworte nicht
schaden können.
Liebe Mutter, wenn Ihr es mir nicht verdenken
wollet — in diesem Briefe sind zwei Thaler, die habe
ich übrig, denn ich habe noch vier Thaler baareS Geld,
und meine Kleidungsstücke sind ganz und gut. Nehmt
doch diese zwei Thaler von Eurer lieben Tochter an,
und pfleget Euch in Eurem Alter dafür. Ich kaun Euch
doch mein Ledetage nicht alle Wohlthaten vergelten, die
Ihr mir erzeigt habt. Nicht wahr, liebe Mutter, Ihr
seyd doch darum nicht unwillig über
Eure gehorsame Tochter
Marie.
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70. Die kluge Wahl.
Ein kluger Mensch wollte heirathcn, und kam kn ein
HauS, in welchem zwei Schwestern waren. Die eine
war hübsch, putzte sich gern, und that nicht gern nütz¬
liche Arbeit. Die andere war nichts weniger, als hübsch,
aber sie war fleißig, that alles im Hause, und besorgte
die ganze Wirthschaft. ö
Welche von beiden wird er wohl geheirathet haben?