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155. Der alte Ctmrn»
Lesebuch für Brandenburg. Herausg. von No bl und Ul 1 mann. 2. Teil.
Breslau 1906. S. 363.
„alte Timm" war einst eine in Berlin stadtbekannte Persönlich-
feit. Er wurde dank seiner Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit vom
einfachen Hoflakeien zuerst zum Kammerdiener, dann zum Geheimen
Kämmerer des Königs Friedrich Wilhelm III. befördert und von diesem
fast wie ein Freund behandelt. Timm erzählte aus seiner Jugend gern
folgende Geschichte:
Ich kam jung und ungeübt in den königlichen Dienst, war aber
zunächst jedermanns Diener, dem alles aufgepackt wurde, was die andern
nicht tun wollten. Als ich nach einiger Zeit den persönlichen Dienst
beim König erhielt, wurde ich zwar von allen beneidet, trat aber meine
Stelle sehr zaghaften Herzens an. Der König war sehr peinlich und
eigen; jede Kleinigkeit mußte genau auf dem bestimmten Platze liegen.
Dabei gab der König, wortkarg wie er war, seine Befehle stets in
knappster Form, so daß es nicht leicht war, sie zu verstehen, und
gefragt durfte doch nicht werden. Es bedurfte also großer Gewandtheit,
und die traute ich mir nicht zu. So machte ich denn wirklich, ängstlich
wie ich war, anfangs meine Sache schlecht und wurde dabei nur immer
verwirrter.
Eines Tages fand der König seine Handschuhe nicht und sagte
ärgerlich: „Auch gar nichts begreifen. Alles verkehrt machen. Nicht
zum Aushalten. Werde mich nach anderm umsehen!" Ich war wie
vernichtet und stand zitternd im Vorzimmer am Fenster. Da trat die
Königin ein, sah mich an und sagte: „Was ist denn, Timm? Wie sieht
Er denn ans?" „Ach, Majestät," antwortete ich, „ich bin sehr un¬
glücklich. Ich kann es dem Könige nicht recht machen; ich bin zu un¬
geschickt, oft verstehe ich auch den König nicht." „Aber," sagte sie, „wer
wird denn den Mut verlieren, wenn es nicht gleich geht, wie es soll!
Was hat es denn gegeben?" „Ach, Majestät, ich hatte nicht die richtigen
Handschuhe zum Reiten hingelegt und da . . ." „Nun, komm Er mal
her, Timm, ich will ihm zeigen, wo alles stehen und liegen muß; ich
weiß, wie es der König wünscht." Und nun ging die Königin mit mir
in das Zimmer des Königs und zeigte es mir; es wurde mir nun alles
klar. „Und wenn Er einmal wieder etwas nicht weiß," sagte sie dann
noch, „so komme Er nur zu mir und frage; ich werde es ihm dann
sagen." Die Königin hatte eben ein Herz für alle, auch für den Geringsten,