E r st e s B u ch.
P r o s a.
A. Erzählende Darstellung.
Märchen. Sagen. Fabeln. Paramythien. Erzählungen.
1. Der Zaunkönig.
3m den alten Zeiten da hatte jeder Klang noch Sinn und Bedeutung.
Wenn der Hammer des Schmieds ertönte, so rief er: „Smiet mi to!1
smiet mi to!" Wenn der Hobel des Tischlers schnarrte, so sprach er:
„Dor häst!^ Dor, dor hast!" Fing das Räderwerk der Mühle an zu
klappern, so sprach es: „Help/ Herr Gott! Help, Herr Gott!" und Mar¬
der Müller ein Betrüger und ließ die Mühle an, so sprach sie hoch¬
deutsch und fragte erst langsam: „Wer ist da? wer ist da?" dann
antwortete sie schnell: „Der Müller! der Müller!" und endlich ganz
geschwind: „Stiehlt tapfer, stiehlt tapfer, vonr Achtel drei Sechter."
Zu dieser Zeit hatten auch die Vögel ihre eigene Sprache, die
Jedermann verstand; jetzt lautet es nur wie ein Zwitschern, Kreischen
und Pfeifen, und bei einigen wie Lieder ohne Worte. Es kam aber
den Vögeln in den Sinn, sie wollten nicht länger ohne Herrn sein und
einen unter sich zu ihrem König wählen. Nur Einer von ihnen, der
Kibitz, war dagegen: frei hatte er gelebt und frei wollte er sterben, und
angstvoll hin und her fliegend rief er: „Wo bliew icf?4 wo bliew ick?"
Er zog sich zurück in einsame und unbesuchte Sümpfe und zeigte sich nicht
wieder unter Seinesgleichen.
Die Vögel wollten sich nun über die Sache besprechen, und an
einem schönen Maimorgen kamen sie alle aus Wäldern und Feldern
zusammen: Adler und Buchfinke, Eule und Krähe, Lerche und Sper¬
ling, was soll ich sie alle nennen? Selbst der Kukuk kam und der
Wiedehopf, sein Küster; auch ein ganz kleiner Vogel, der noch keinen
Namen hatte, mischte sich unter die Schaar. Das Huhn, das zufällig
1) Schlag zu! - 2) Da hast! — 3) Hilf! — 4) Wo bleib' ich?
Masius Leseb. II. 4. Aufl. 1