XII
Lehr- und Unterrichtsbuch seyn, d. h. ein solches,
welches die Aufmerksamkeit der Schülers in Spannung er¬
halt, und dem Lehrer vielfache Gelegenheit gibt, das
Nachdenken und die Urtheilskraft zu wecken, und das reli¬
giöse und Schönheitsgefühl anzuregen, indem er das Le¬
sen durch allerlei Fragen unterbricht, und davon Veran¬
lassung nimmt zu mannigfaltigen, den Verstand schärfen¬
den Unterredungen, wie solches Beispielweise in den ersten
Abschnitten dieses Lesebuchs häufig (nachher, der Erspa¬
rung des Raums wegen, seltener)durch untergelegteFragen
angedeutet ist. Nur wenige Lesebücher geben dazu hin¬
reichende Gelegenheit, und doch frommt ohne solches Le¬
sen auch daS beste Lesebuch nur wenig.
In den Z w e ck e n des Lesebuchs macht das Geschlecht
keinen Unterschied, wohl aber in den Mitteln. For¬
melle Bildung und geistig-gymnastische Kraftübung soll in
den Mädchen- wie in den Knabenschulen statt finden;
Sprach- und Sachkenntnisse soll jene wie diese lehren.
Aber Maß des Stoffs und Behandlung desselben
soll sich, wie nach dem Alter, auch nach dem Geschlecht
richten. Das Mädchen kann und soll nicht alles wissen und
erforschen. Vieles ist ihm zu schwer, noch mehreres un¬
nütz oder doch entbehrlich, manches sogar unziemand; ein
streng wissenschaftlicher Zusammenhang in fortlaufender
Folge will der schwachern weiblichen Natur, besonders in
den mittlern Jahren der körperlichen Entwickelung, nicht
zusagen; dafür bedarf sie wieder mehr Nahrung für die
Kräfte der Phantasie und des Gefühls, die in ihr zu einer
höhcrn und überwiegenden Thätigkeit stch hinneigen. Aus
diesen Gründen kann aus der großen Masse des Kenntni߬
stoffes nur derjenige Theil herausgehoben werden, der mit
der Natur und besondern Bestimmung des weiblichen Ge¬