302 III. Länder- und Völkerkunde. A. Europa. 
hier ihre Jugend, verbringen im mittleren Lande ihr Mannesalter und 
sterben matt, abgelebt und lebenssatt im Meere. Wir wissen also 
nichts Besseres, als die Alpenflüsse mit der frischen, kräftigen, rastlosen, 
gefahrliebenden Jugend, die Ströme der Ebene mit dem vielerfahrenen, 
aber bedächtigen und langsamen Alter in Vergleich zu stellen. 
Die meisten Quellen der Flüsse sind unzugänglich. Sie rinnen 
schon eine Weile unter dem Gletscher fort und stürzen dann aus einem 
Eisgewölbe hervor; andere Wasser laufen auf der Oberfläche der Glet¬ 
scher hin, stürzen schäumend herab und vereinigen sich mit den vorigen. 
Viele kommen auch aus dem oberen lockeren Schnee her. Aller Orten 
rauscht es herab. Schon ein wenig gesammelt, taumeln die Wasser auf 
scharfgeneigte verwitterte Granitblöcke, theilen sich und stürzen in vielen 
Strahlen in Schaum aufgelös't in den Abgrund. Das gesammelte 
Wasser rauscht unruhig durch Schlünde, oder hat vielleicht ein wenig 
Zeit, in dem ersten Kahr auszuruhen; bald aber folgen neue Kämpfe, 
und mit lautem Geschrei windet es sich durch Felsenengen durch, muß 
noch ein- oder mehrmals verzweifelte Stürze von mehreren Hundert 
Fuß machen, bis es die ersten Tücken des Gesteins überwunden hat 
und zu den freundlichen Wohnungen der Menschen gelangt. Unter¬ 
weges erhält der Bach seitwärts Nahrung genug durch ähnliche Wasser. 
Viele davon flattern oder stürzen, zuweilen vom Winde seitwärts ge¬ 
jagt, wie weißes Flockensilber hernieder. Außerdem rinnt und leckt es 
noch überall von den nackten Wänden herab. — Die Kämpfe des 
Wassers mit dem Gestein in so einsamen Kahrs in wilder Majestät 
der Umgebung sind ein erhabenes Schauspiel. 
Wenn diese Büche auch nicht aus Schnee herkommen, sondern 
nur in der Alpenregion entspringen, so können sie dennoch viel Schwie¬ 
rigkeiten zu überwinden haben, wenn sie auch nicht so wasserreich sind, 
als die aus Gletschern ersprossenen. Hoch oben in der Begegnung 
zweier Felsenbcrge kommt ein Gerinne hervor, welches in der öden 
Felsschlucht herabrauscht. Seitwärts tropft und rieselt und schäumt 
es von den Wänden herab und in immerwährenden Stürzen, Wirbeln 
und Kümpfen sucht es sich Bahn. Oftmals findet es auch so großen 
Widerstand, daß kleine Bergseen, finster und tief, entstehen, es füllt 
aber die Tiefe aus uud reißt eilig weiter. — In den Kalkgebirgen 
saugen sich die ersten Wasser wohl wieder ein und kommen nach mei¬ 
lenlangem unterirdischem Lauf wieder zum Vorschein. Davon gibt es 
sehr viele Beispiele, am meisten in den julischen Alpen. 
Es ist erstaunlich, was von rings umgebenden Bergen bei der Ur¬ 
sprungsgegend eines -Flusses für eine Wassermasse auf geringer Ent¬ 
fernung zusammenrauscht. In Kurzem ist ein starker, forellenreicher 
Bach da, welcher lärmend und schäumend flüchtig über die Steine da¬ 
hin tanzt. Alle Alpenwasser, die aus Urgestein kommen, haben eine 
blaßblane, ins Grünliche fallende Farbe, wenn sie rein sind. ■ Die aus 
Schnee herkommen, haben diese Farbe des Morgens; Nachmittags, wo 
die Sonne den Schnee schneller aufthaut und die Bäche stärker macht,
	        
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