Full text: Prosalesebuch für Obertertia und Untersekunda der Vollanstalten oder Klasse II und I der Realschulen (Teil 5, [Schülerband])

49. Das Moseltal. 
August Sach. Die deutsche Heimat. Halle a. S. 19012. 
„Sei Mosella, gegrüßt, durch Boden und Pflanzen gepriesen, 
Längs dem Rebengestade umblüht von duftendem Weinlaub!" 
So begrüßt Ausonius, ein römischer Dichter des vierten Jahr¬ 
hunderts, das Tal der Mosel; er rühmt die Klarheit ihres Wassers 
und nennt sie „dem See an kristallner Tiefe vergleichbar"; er preist 
auch die Pracht der Paläste und die erhabenen Villen, welche die 
5 Römer auf dem Wall der Felsen oder am Rande des Ufers zur Zierde 
des Flusses errichtet hatten. Wer heute das Tal besucht, wird in 
den Lobgesang des Römers einstimmen und es als das reizendste 
Stück Erde preisen, das die Natur auf deutschem Boden geschaffen hat. 
Eingeschlossen zwischen Hochflächen und Höhenzügen, tief ein- 
io gesenkt in die Grundschicht der Hochebene, steht der Taleinschnitt des 
Flusses in Hinsicht auf sein Klima in schroffem, auffallendem Gegen¬ 
satz zu den zur Seite gelegenen Höhen: oben ringsum kalte und 
heftige Winde und lange Winter, unten zeitiges Frühjahr und lange, 
warme Sommer; oben nur Tanne, Buche und Eiche, nur Hafer- 
i5 und Roggenbau und stellenweise fruchtbare Striche, unten dagegen 
Fruchtbäume in ihrer Blütenpracht und der gepriesene Weinstock, den 
Kaiser Probus hier zuerst pflanzte. 
In der Eigentümlichkeit ihres Laufes ist kaum ein anderer der 
größeren Flüsse Deutschlands der Mosel an die Seite zu stellen. Ihre 
‘¿a Krümmungen und Windungen sind so groß, daß die Entfernung, 
die geradlinig von Trier nach Koblenz nur 100 km beträgt, aus 
dem Flusse selbst sich verdoppelt und bei einer Messung längs der 
Ufer eine Linie von 190 km gewinnt. Während der Fluß im ganzen 
nach Nordosten fließt, wirft er sich stellenweise dermaßen herum, daß 
25 er zuweilen geradezu in entgegengesetzter Richtung strömt und den 
Schein annimmt, als wolle er — wie eine Schlange, die sich in den 
Schwanz beißt — wieder zu seiner Quelle zurückkehren. Die meisten 
dieser Krümmungen sind dabei sehr kurz, da sich der Fluß immer 
sehr bald in eine andere Richtung umwendet. Sein Lauf erscheint 
so daher wie ein gewundenes Band. Vermittelst seiner Windungen 
schneidet er aus dem Festlandskörper eine Menge Halbinseln von sehr 
mannigfaltiger Gestalt heraus, die sich zum Teil als sehr lange, 
meistens aber breilköpfige Landzungen zwischen dem Gewässer des 
Flusses darstellen. Bei den Ruinen des Klosters Marienburg bespült 
35 er z. B. die eine Seite des Berges, macht eine Wendung von zwei
	        
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