A. Erzählende Prosa. I. Sagen.
ihm seine Phorminx abgenommen und an den Nagel gehängt, ihn selbst
aber bei der Hand gefaßt hatte. Der Markt füllte sich wieder mit
neuem Getümmel. Die Fürsten setzten sich, rings umher stand das Volk,
und die Jünglinge, welche ihre Kunst im Ringen, im Faustkampf, im
Laufen und Werfen zeigen wollten, traten in den weiten Kreis hervor.
Zuerst versuchten sich drei Söhne des Königs, Laodamas, Halius und
Klytonäus, im Wettlauf, und der letztere trug den Preis davon. Dann
traten die starken Ringer auf, unter denen der tapfere Euryalus alle
besiegte. Hierauf ließen sich die Springer sehen, auf welche die Scheiben—
werfer folgten. Den Beschluß machten die Faustkämpfer, und in diesem
gefährlichen Spiele behielt der schöne Laodamas die Oberhand. „Hört,
Freunde,“ rief hierauf der mutige junge Mann, „wir wollen doch unsern
Gast fragen, ob er nicht auch in Kümpfen geübt ist. Wahrlich, seine
Gestalt ist edel; seht nur die hohe Brust, die Schenkel, die Arme und
den starken, nervigen Nacken! Auch sein Wuchs verrät einen tüchtigen
Mann, und alt ist er auch noch nicht. Das Unglück hat ihn nur so
mitgenommen; denn, wahrhaftig, ich kenne nichts, was einen Mann
mürber zu machen imstande wäre als das heillose Meerwasser, wenn
einer auch noch so stark ist.“ — „Schön,“ erwiderte Euryalus, der
Ringer; „das ist ein guter Einfall! Geh nur hin zu dem Manne und
fordere ihn auf!“ Laodamas ging hin und forderte den Odysseus auf.
Aber dieser lehnte es ab. „Ach,“ sagte er, „mein Unglück liegt mir
jetzt näher am Herzen als Kämpfe, und ich habe keinen andern Ge—
danken, als wie ich recht bald nach Hause kommen möchte. Ihr wißt
nicht, was ich alles erduldet habe·“ — „Schon gut, mein Freund,“ rief
höhnisch der vorschnelle Euryalus. „Man sieht wohl, daß du dich auf
so etwas nicht verstehst. Ein Kämpfer bist du nicht, aber vielleicht ein
Aufseher auf einem Kaufmannsschiffe, der die Ladung besorgt, die
Waren bewacht und die Gewinne berechnet; nicht wahr?“ — „Ei,“
erwiderte mit finsterem Blick der edle Odysseus, „nicht fein war
die Rede; du scheinst mir ein trotziger Gesell. Man sieht doch recht,
wie verschieden die Götter ihre Gaben austeilen. Mancher Mann
von unansehnlicher Figur ragt oft durch seinen Verstand hervor,
und wenn er redet, erstaunt die Versammlung über seine treffen⸗
den Worte. Ein anderer dagegen von götterähnlicher Gestalt weiß
oft nicht eine vernünftige Silbe. Sieh, so isi es mit dir bestellt.
Du bist von trefflicher Schönheit, aber dein Witz will nicht viel sagen.
Wahrlich, wärst du nicht solch ein junger Thor, du hättest mich
empört mit deiner unziemlichen Redel Nein, glaube mir, ich bin
kein Neuling im Wettkampfe; ich habe mich mit den Tapfersten ge⸗
messen, als ich noch jung war und Trübsal mich nicht beugte. Deun
ich habe erduldet, was nur ein Mensch erdulden kann, im Kampf
der Feldschlacht wie im Sturm der Meereswogen. Aber wahrlich,