Full text: [Teil 5 = [Kl. 5], [Schülerband]] (Teil 5 = [Kl. 5], [Schülerband])

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daß er ein Schafhirt war. Nur zuweilen warf er einen Blick auf die 
vier oder fünf Schafe, welche neben ihm weideten, und dann zuckte um 
seinen Mund ein trauriges Lächeln. Noch vor kurzer Zeit hatte er hier 
für feinen Herrn eine zahlreiche Herde gehütet, diese wenigen Tiere waren 
alles, was ihm davon übriggeblieben war; sie waren fein Eigentum, und 
er hatte sich mit ihnen hierher geflüchtet. Der Abhang des Berges war 
steil, so daß er hoffen durfte, die Feinde würden nicht auf die Höhe 
kommen. In dem Dorfe dort unten im Tale besaß der Schäfer ein Haus, 
die Franzosen aber hatten sich in demselben einquartiert, ihn daraus ver¬ 
trieben und alle Vorräte, die er für seine Familie und seine Tiere zum 
Winter gesammelt hatte, ihm genommen. Was sollte er nun noch da 
unten im Dorfe? Seine beiden Söhne standen drüben im preußischen 
Heere, und zu ihnen eilten seine Gedanken. Wenn er jünger gewesen 
wäre, er hätte gern die Waffen zur Hand genommen, um die Frechheit 
der übermütigen Eroberer züchtigen zu helfen; aber in feinen Jahren 
konnte er nicht mehr daran denken, unter die Soldaten zu gehen. Seine 
Hände ballten sich oft unwillkürlich in stillem Zorn, und er stieß den 
Hirtenstab auf die Erde, wenn er des Übermutes und der Grausamkeit 
der Franzosen gedachte. 
Da kam ein Mann schräg an dem Abhang des Berges daher und 
eilte auf ihn zu, aber er hörte ihn nicht, bis der neben ihm sitzende Hund 
laut anschlug. Schnell wandte der Hirte den Kopf, doch seine Augenbrauen 
zogen sich flnster zusammen, als er den Kommenden erkannte. 
„Nun, Born!" ries dieser, ein Mann von etwa fünfundzwanzig bis 
dreißig Jahren, dessen stechende Augen seinem Gesicht einen unheimlichen 
und unangenehmen Ausdruck gaben, „Ihr steht ja hier so ruhig, als ob 
da unten nichts los wäre. Das ist ein Leben und Treiben ringsum; man 
sollte eigentlich Gott danken, wenn man mit heiler Haut daraus wäre." 
„Niemand hindert Euch daran," antwortete kalt der Schäfer. „Eure 
Söhne stehen dort oben unter den Preußen, nicht wahr?" fragte der Fremde. 
Born nickte bejahend. „Und Eure Frau und Tochter?" „Sie sind da 
drüben," erwiderte der Hirt und zeigte mit der Hand nach den Bergen 
jenseits der Saale. „Denkt Ihr denn, daß sie dort in Sicherheit sind? 
Dorthin wird der Feind auch dringen." „Wer weiß?" sprach Born. „Es 
kommt vielleicht auf einen einzigen Tag an, und die Fremden müssen wieder 
aus dem Lande hinaus, wie sie hereingekommen sind." „Ha, ha!" lachte 
Sielert, so hieß der Mann, „denkt Ihr denn, daß die Preußen siegen 
werden? Ich komme heute von Kahla und Jena und habe gesehen, wie 
zahlreich die Franzosen sind. Es sollen viel über hunderttausend Mann 
sein, und die lassen sich nicht so leicht zum Lande hinausjagen." 
Born blickte den Mann scharf und finster an; dann sprach er langsam: 
„Ihr scheint es mit den Feinden zu halten?" „Nein, nein!" war die 
Antwort, „aber der Napoleon versteht den Krieg." „Dem mag sein, wie
	        
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