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sprach er hierauf, „es waren eigentlich 800 Thaler in das Tuch genäht.
Ich finde aber nur 700 Thaler. Ihr werdet also wohl eine Naht auf—
getrennt und eure hundert Thaler herausgenommen haben. Da habt
ihr we daran gethan. Ich danke euch.“ Das war nicht schön; aber
wir sind auch noch nicht am Ende. Ehrlich währt am längsten,
und Unrecht schlägt seinen eigenen Herrn. Der ehrliche Finder,
dem es weniger um die 100 Thaler, als um seine unbescholtene Recht—
schaffenheit zu thun war, versicherte, daß er das Päcklein so gefunden
habe, wie er as bringe, und es so bringe, wie er es gefunden habe.
Am Ende kamen sie vor den Richter. Beide bestanden auch hier
noch auf ihrer Behauptung, der eine, daß 800 Thaler eingenäht gewesen
seien, der andere, daß er von dem Gefundenen nichts genommen und
das Päcklein nicht versehrt habe. Da war guter Rat teuer. Aber der
kluge Richter, der die Ehrlichkeit des einen und die schlechte Gesinnung
des andern voraus zu kennen schien, griff die Sache so an: er ließ sich
von beiden über das, was sie aussagten, eine feste und feierliche Versicherung
geben und that hierauf folgenden Ausspruch: „Demnach, wenn der eine
von euch 800 Thaler verloren, der andere aber nur ein Päcklein von
700 Thalern gefunden hat, so kann auch das Geld des letzteren nicht
das nämliche sein, auf welches der erstere ein Recht hat. Du, ehrlicher
Freund, nimmst also das Geld, welches du gefunden hast, wieder zurück
und behältst es in guter Verwahrung, bis der kommt, welcher nur
700 Thaler verloren hat. Und dir da weiß ich keinen Rat, als du
geduldigst dich, bis derjenige sich meldet, der deine 800 Thaler gefunden
hat.“ So sprach der Richter, und dabei blieb es.
66. Einer oder der andere.
Johann Peter Hebel.
Es ist nichts lieblicher, als wenn bisweilen gekrönte Häupter
sich unerkannt zu dem gemeinen Mann herablassen, wie König
Heinrich der Vierteé in FPrankreich, sei es auch nur zu einem gut-
mũütigen Spalse.
Zu König Heinrichs des Vierten Zeiten ritt ein Bäuerlein
vom Lande her des Weges nach Paris. Nicht mehr weit von der
Stadt gesellt sich zu ihm ein anderer, gar stattlicher Reiter, velcher
der König war, und sein kKleines Gefolge blieb absichtlich in einiger
Entfernung zurũck. „Wobher des Landes, guter Freund?“ — „Da
und da her.“ — „Ihr habt wohl Geschäfts in Paris? —p„Das
und das; auch möchte ich gern unsern guten König einmal sehen,
der so vaterlich sein Volk liebt.“ Da lächelte der König und sagte