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*Kaum kamen die letzten in sichern Portz
so rollte das letzte Getrümmer sort. —
„Hier," rief der Graf, „mein wackrer Freund,
hier ist dein preis! ‘Komm her, nimm hin!" —
Sag an, war das nicht brav gemeint?
Bei Gott! der Graf trug hohen Sinn.
Doch höher und himmlischer, wahrlich! schlug
das Herz, das der Bauer im Mittel trug.
s5. „Blein Leben ist für Gold nicht feil;
arm bin ich zwar, doch eff' ich satt.
Dem Zöllner werd' Gu'r Gold zuteitz
der Hab und Gut verloren hat!"
So rief er mit herzlichem Biederton
und wandte den Rücken und ging davon. —
J6. Hoch klingst du, Lied vom braven Blaun,
wie Orgelton und Glockenklang!
Wer solches Bluts sich rühmen kann,
den lohnt kein Gold, den lohnt Gesang.
Gottlob, daß ich singen und preisen kann,
unsterblich zu preisen den braven Mann!
Gottfried August Mrger. (Gekürzt.)
39. Mein Großvater mütterlicherseits und der
Graf von Narbonne.
Ein Stück aus der Schreckenszeit und der undankbaren Welt.
1. Von meinem seligen Großvater habe ich viel in meiuer Jugend gehört,
dem Mann mit der hohen Stirn und dem langen, zurückgekämmten Haare.
Das eine Auge hatte er durch die Blattern verloren und trug ein gläsernes
dafür. Aber es war, als ob alle Kraft des verlorenen Auges in das gesunde
Auge gegangen sei, denn es hatte einen wunderbaren Glanz und eine durch¬
dringende Kraft. Groß von Person war er gerade nicht; aber es gibt Leute,
die sind klein, und es ist einem doch, als müßte man an ihnen hinaufschauen,
und das kommt von dem Geiste her, den ein Mensch ausstrahlt. Solch einen
Geist hatte mein seliger Großvater.
2. In den siebziger Jahren des achtzehnten Jahrhunderts war er nach
Paris gekommen und dort deutscher und französischer Prediger an der schwedischen
Gesandtschaftskapelle geworden. Die Revolution sah er langsam kommen;