Full text: Lesebuch für weibliche Fortbildungs- und Feiertagsschulen

24. Aus dem Norden. 
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Buchenwäldern und Obstbünmen, von der Weinrebe und den Weizen¬ 
feldern. Anfangs begleiten ihn zwar noch alte Bekannte: Apfelbäume. 
Buchen und Eichen; aber je weiter er reist, desto mehr bleibt einer nach 
dem anderen zurück, bis er zuletzt nur noch die düstere Tanne und die 
zierliche Birke neben sich bemerkt. Aber ehe er sich's versieht, sind auch 
diese zu Zwergen zusammengeschrumpft, die kauernd hinter Klippen und 
in Schluchten Schutz suchen. Hält er noch immer nicht an in seiner 
Wanderung, so nehmen auch die Zwerglein von ihm Abschied, und nun 
erinnert ihn nur noch Weidengebüsch an sein Heimatland, bis auch dieses 
verschwindet, Heidekraut das endlose Wellenland überzieht, Moose und 
Flechten den Boden polstern und als die einzig Unüberwindlichen sieg¬ 
reich über die Feinde alles Lebens, über Frost und Schnee triumphieren. 
Das Blöken der Schaf- und Rindviehherden hat sein Ohr schon längst 
nicht mehr vernommen, schöne, kräftige Hirten sein Auge schon längst 
nicht mehr gesehen. Die Menschen, die er hier und dort antrifft, 
kommen ihm fremdartig vor, kleiner als daheim, mit einem anderen 
Schnitt der Kleider und einem anderen Schnitt des Gesichtes. Es sind 
die Lappländer, mit welchen er im Norden von Schweden und Norwegen 
Bekanntschaft macht. 
Auch mit dem Renntiere wird er Freundschaft schließen müssen; 
denn ohne dieses Tier könnte er in Lappland gar nicht leben. Es gehört 
zu dem Hirschgeschlecht und hat unter allen Hirscharten die gedrungenste 
und kräftigste Gestalt. Sein Hals ist kurz und muskulös, sein Hns 
platt, seine Beine sind aus starken Knochen zusammengefügt; mit einem 
Worte, der ganze Bau dieses Hirsches ist zum Ertragen von Beschwerden, 
zum Ziehen von Lasten eingerichtet. Wie kein anderes Tier, weiß es sich 
auf einem Boden zu ernähren, der acht Monate des Jahres mit Schnee 
und Eis bedeckt ist. Das Männchen wie das Weibchen hat ein Geweih, 
während bei den übrigen Hirscharten nur das Männchen auf diese Zierde 
stolz sein kann; und da manche dieser Geweihe fünfzig Pfund wiegen, 
so ist daraus schon zu ermessen, wie kräftig das Tier sein muß. Hunger 
erträgt es ohne viel Beschwerde; Moos ist sein Lieblingsgericht, und 
trotz dieser kärglichen Nahrung überwindet es viel besser als das Pferd 
alle Schwierigkeiten, welche Schnee- und Eisfelder bieten. Unglaubliches 
vermag es vor dem Schlitten zu leisten. Wegstrecken, wozu der Lappe 
im Sommer drei Tage braucht, durchläuft es im Winter in einem Tage. 
Nur gegen die Wärme ist es empsindlich. Kommt daher die kurze 
Sommerzeit, so ist der Lappe gezwungen, mit seinem Renntiere aus 
den warmen Thälern auf die Berge zu flüchten, und selbst da sucht er 
sich gern ein Schneefeld zum Ruhen aus. So ist der Bewohner des
	        
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