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Nach einigen Jahren wollte er Odilia mit einem reichen
Grafen vermählen. Aber die Jungfrau dachte ganz anders; sie
wollte Gott allein dienen und eine Nonne werden. Und als ihr
Vater sie zur Heirat zwingen wollte, da lief sie bei Nacht und
Nebel zum Schlosse hinaus, über den Rhein, und immer weiter,
bis gen Freiburg. Plötzlich hörte sie ihren ergrimmten Vater
mit dem Bräutigam und mehreren Bewaffneten hinter sich her—
reiten; vor ihr aber erhob sich eine hohe Gebirgswand, so daß sie
nicht weiter konnte. Zu Tode erschrocken fiel sie auf die Kniee und
rief Gott um Hülfe an. Da öffnete sich die Felswand, sie trat hinein,
und der Fels schloß sich hinter ihr zu. Da reute es den Vater, daß
sein Herz härter gewesen war gegen Odilia als der Stein. Er rief
seiner Tochter und bat sie flehentlich, sie möchte doch wieder heraus⸗
kommen, er wolle ihr gewiß nichts zuleide tun. Da öffnete fich der
Felsen wieder, und Odilia kehrte mit ihrem Vater nach Hause
zurück.
Hierauf schenkte der Herzog Etticho seiner Tochter das Schloß
Hohenburg über Oberehnheim auf dem Berge, der weit ins schöne
Elsaß hineinschaut. Das Schloß wurde zum Kloster und Odilia
zur ersten Äbtissin darin. Sie betete fleißig und ging mit ihren
Nonnen zu allen Kranken im Lande umher und pflegte sie. Die
ärmsten nahm sie in ihr Kloster auf, und damit die Kranken nicht
so weit den Berg hinauf hätten, baute sie unten im Tale das
Spital Niedermünster. Nach ihrem Tode wurde Odilia als die
Schutzheilige des Elsaß verehrt.
Herzog Etticho war durch seine Tochter ein frommer Mann ge—
worden. Gott schenkte ihm noch einen Sohn, und er wurde der
Ahnherr vieler berühmter Geschlechter.
90. Der heilige Hain und die drei Buchen.
Auf dem Platz, auf dem das Strassburger Münster erbaut ist, stand
vor mehr als 2000 Jahren ein heiliger Hain In seiner Mitte erhoben sich
drei mächtige Buchen, Ihre Wipfel ragten hoch empor in die Lüfte.
Und ihre gewaltigen äste beschatteten veithin die Erde. Unter diegen
Buchen verehrten die heidnischen Triboker ihren Gott des Krieges Darum
warx dieser Ort eine heilige Stätte. Hierher strömte das Volk von nah
und fern aus den umliegenden Gauen und brachte dem furcharen Gotte
voll Andacht und Ehrfurcht seine Opfer dar.
Lange standen die drei Buchen mitten im Haine. Als aber die Römer
in das Elsaß kamen, fällte ihrs Axt den heiligen Hain und die drei Buchen.
An ihre Stelle bauten sie einen prachtvollen Tempel und weihten ihn
ihrem Kriegsgotte Mars.
Doch auch der römische Tempel mubte weichen. Zerslört sank er