gesagt: „Wenn Sie eine Krisis haben wollen, dann können Sie sie
haben."
Für einen Reichstag bedeutet eine Krisis natürlich nicht
den Tod, aber doch etwas ähnliches wie einen Abgang. Der
Reichstag kann „a u f g e l ö st" werden. Dann gilt es so, als ob
die Reichstagsabgeordneten gar nicht mehr gewählte Reichstags¬
abgeordnete wären. Sie dürfen nicht mehr beisammen bleiben,
dürfen keine Beschlüsse fassen, und es müssen neue Reichstags-
abgeordnete gewählt werden. Das ist überall so, wo es Abge¬
ordnetenhäuser gibt. Und in den einzelnen Staaten, z. B. in
Preußen, da ist es so, daß der König das Abgeordnetenhaus auf¬
lösen kann. Im Reiche kann der Kaiser allein den Reichstag nicht
auflösen, da müssen die anderen Regierungen oder wenigstens die
meisten andern Regierungen einverstanden sein. Die haben ja
ihre Gesandten in Berlin, und die Gesandten kommen auch zu¬
sammen und beraten sich, und das nennt man den Bundesrat.
Also wenn der Reichstag aufgelöst werden soll, dann muß das
erst der Bundesrat beschließen. Aber der Kaiser muß auch damit
einverstanden sein, sonst geht's nicht. Wenn der Bundesrat das
beschlossen hat, und der Kaiser damit einverstanden ist, dann
braucht bloß der Reichskanzler vorzulesen, daß der Bundesrat und
der Kaiser das beschlossen haben, dann kann der Reichskanzler
selber hinterher erklären, daß der Reichstag aufgelöst ist.
Nun war es ziemlich lange nicht mehr vorgekommen, daß der
Reichstag aufgelöst worden war. Das war zum letzten Male im
Jahre 1893 gewesen, das vorletzte Mal im Jahre 1887, und dann
noch einmal früher im Jahre 1878. Al.so allzuoft ist das gerade
nicht. Aber früher war es immer so gemacht worden, daß alles
immer schon ziemlich genau vorher wußte: jetzt wird der Reichstag
aufgelöst. Und dann brachte der Reichskanzler das Papier, worauf
der Beschluß des Bundesrats geschrieben war, in einer großen
roten Mappe mit. Und wenn die Abgeordneten die rote Mappe
sahen, dann wußten sie gleich: „Aha, heute wird aufgelöst." Am
13. Dezember 1906 mögen wohl auch manche Abgeordnete nach der
roten Mappe gesehen haben, aber der Reichskanzler hatte keine mit.
Und da werden wohl die meisten gedacht haben: „Nun kann die
Sache heute nicht weiter schlimm werden", denn es wurde ja erst
in zweiter Lesung beraten. Alle wichtigen Dinge werden im Reichs¬
tag doch dreimal beraten und bei jeder Beratung soll
eigentlich das, worüber beraten wird, ausführlich vorgelesen wer¬
den. Deswegen nennt man das eine Lesung. Nun ist es mauch-
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