mal schon vorgekommen, daß der Reichstag in der zweiten Lesung
ein Gesetz ganz anders gemacht hat, als es die Regierung haben
wollte. Dann hat die Regierung gesagt: Nein, so geht das
nicht", und dann hat man sich zwischen der zweiten und
dritten Lesung so heimlich beraten, daß einzelne Abgeordnete
zu einzelnen Ministern und Geheimräten gegangen sind; und
dabei hat man sich geeinigt; und dann ist in der dritten Lesung
etwas beschlossen worden, womit die Regierung einverstanden
war. Da haben auch diesmal viele Abgeordnete gedacht,
es wird sich so machen lassen, daß der Reichstag in zweiter
Lesung der Regierung zeigt, daß sich die Regierung eigentlich
vorm Reichstag fürchten müßte. Denn der Kolomaldirektor
Dernburg war doch gegen eine sehr mächtige Partei ein
bißchen sehr grob geworden; und da wollten manche gerne
der Regierung zeigen, daß der Reichstag mehr zu sagen
hätte als die Regierung und daß die Regierung sich auf ihren
Dernburg nicht allzuviel einbilden sollte. Und dann wollte man
denn zwischen der zweiten und dritten Lesung sich wieder mit der
Regierung vertragen. Aber diesmal wurde nichts daraus. Der
Reichskanzler sagte, es ginge nicht an, daß wir uns vor der
ganzen Welt blamierten und die Truppen eher wieder zurück¬
zögen, als das für den Krieg richtig wäre. Und wenn der
Reichstag das fo beschlösse, dann könnte die Regierung nicht da-
mit einverstanden sein. Gleich darauf wurde abgestimmt. Da
waren nur 168 Stimmen für das, was die Regierung wollte, 178
Stimmen waren dagegen. Da half's nichts mehr, daß eine Menge
Leute von den Tribünen runter und auch wohl im Reichstag
selbst: „Pfui!" riefen. Beschlossen war nun einmal beschlossen.
Aber gleich darauf stand der Reichskanzler auf; und da wußten
nun alle die Abgeordneten und die auf den Tribünen, daß etwas
los war. Und der Reichskanzler machte keine rote Mappe auf,
sondern eine einfache weiße Aktenmappe; und daraus las er vor,
daß der Reichstag aufgelöst wäre. Denn es war vorher beschlossen
worden: wenn der Reichstag das ablehnt, dann sollte er aufgelöst
werden. Und nun hatte er abgelehnt, nun konnte Fürst Bülow
auf eigene Hand erklären, daß der Reichstag aufgelöst war. Und
als er das vorgelesen hatte, da gab's wieder einen so ungeheuren
Beifallssturm, wie er schon zehn Tage vorher gewesen war, als
Kolonialdirektor Dernburg so energisch gesagt hatte, daß er sich
kein Dreinreden von Parteien in die Regierung gefallen lassen
würde.
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