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56. Der wandernde Handwerksgesell.
Das Wandern der Handwerksgesellen oder Handwerksknechte reicht
schon in eine frühe Vergangenheit zurück. Wenn auch erst der Schneider—
lag der schlesischen Städte, der im Jahre 1361 zu Schweidnitz abge—
halten ward, das älteste ausdrückliche Zeugnis dafür bietet, so darf
man es doch schon in eine Zeit zurückverlegen, wo die Handwerker von
der Scholle gelöst und freie Leute wurden. Erst mit dem 15. Jahr⸗
hundert mehren sich die Verfügungen, die auf das Wanderleben der
Burschen Bezug nehmen; noch aber ist nur selten von einem Zwang,
d. h. von einer gesetzlich von der Innung vorgeschriebenen Pflicht die
Rede, vielmehr slößt man hie und da noch auf Bestimmungen, die das
Wandern ausdrücklich untersagen. Während z. B. die Zunftrolle der
Wollenweber zu Lübeck schon im Jahre 1477 von ihren Genossen ver—
langt, in die Fremde zu ziehen, und dies im allgemeinen im 16. Jahr—
hundert zur rechtlichen Pflicht ward, gab es selbst im 17. Jahrhundert
z. B. in Nürnberg noch eine Reihe gesperrter Handwerke, denen das
Wandern verboten war, damit sie ihre Kunst und deren Geheimnisse
nicht nach fremden Orten trügen. Bei andern, wie bei den Lübecker
Goldschmieden und Paternostermachern, war es wenigstens beschränkt
und erschwert.
Zu Zeiten, wo der Wanderzwang längst durchgeführt war, konnte
die Wanderschaft wegen körperlicher Gebrechen oder auch wegen Un—
entbehrlichkett zu Hause ganz erlassen, hie und da selbst mit Geld
abgelöst, werden. Immer aber galten die „Gewanderten“, welche
die Welt gesehen, für vornehmer als die, welche zu Hause geblieben,
und nur sie waren fähig, als Meister einer Zunft vorzustehen.
Die gesetzliche Wanderzeit war bei den Zünften verschieden und
schwankte zwischen drei und fünf Jahren; in der Regel erscheinen die
Meistersöhne auch hierin bevorzugt. Eine Vorschrift, wohin sich die
Wanderschaft zu richten habe, wurde von den Innungen selbst niemals
gegeben; es wurde nur verlangt, solche Orte zu meiden, wo das Hand—
werk nicht zünftig war. Ein Hutmacher konnte 3. B. nicht nur nach
llen Ländern des Reichs, sondern auch nach Dänemark, Schweden,
Polen, Kurland, Livland und nach der Schweiz seinen Stab tragen,
ohne sich unehrlich zu mächen. In Gegenden dagegen, wo das Hand—
werk sich dem Brauch nicht unterworfen hatte, lief ein wandernder Ge—
sell Gefahr, sein Recht auf die Meisterwürde zu verlieren. Es kam
selbst innerhalb des heiligen römischen Reichs vor, daß sich in einem
und demselben Handwerk zwei feindliche Gruppen gegenüberstanden.
Ein Rotgerber z. B. aus den Hansastädten oder aus Preußen, Hessen,
Sachsen, Rheinland, Schwaben, Franken und der Schweiz durfte nicht
wagen, das Gebiet der Bayern, streicher, Steiermärker und Salzburger zu
betreten, und doch betrachteten sich beide Gruppen bloß aus dem Grund