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die Hlpe; vier Wochen später kommen die Kühe nach. Lolche Auffahrt
ist ein allgemeines Fest. Cs ist eine Lust, das Vieh in seiner Freiheit
auf der Htpc fröhlich und übermütig umherspringen und miteinander
kämpfen zu sehen,- man merkt's ihm an, wie gut das kräftige Ulpenkraut
in hoher reiner Bergluft ihm bekommt. Wenn es die Witterung erlaubt,
bleiben die Herden Tag und Nacht im Freien und werden auch da gemolken;
sobald aber böses Wetter heranzieht, treibt sie der Senn den Ställen zu.
Beim Unbruch der Külte, gemeiniglich im September, werden die Senn-
hütten wieder verlassen und die Herden in die Täler hinabgetrieben.
II.
vom Tale aus haben wir uns mehrere Führer mitgenommen und
uns mit einem Eispickel, einem festen Zeile und scharf beschlagenen
Schuhen versehen. Bald sollen wir von alledem Gebrauch machen, denn
die sattgrüne, mit tausendfarbigen Blumen geschmückte Ulpe liegt hinter
uns, und vor uns breitet sich eine unabsehbare Schneefläche mit wellen¬
förmigen, ungleichen Erhöhungen aus. Die Grenze ist hier oft so scharf,
daß man mit der einen Hand vor sich in den Schnee greifen und mit der
andern hinter sich tiesfarbige Blumen pflücken kann. Uus dem ewigen
Schnee aber ragen hohe, düstere Felsspitzen hervor, an deren steilen Wänden
der Schnee nicht haftet. Es sind dies jene schroffen Felsengrate, die jäh
sich in die Luft erheben, mit ihren starren Formen einen grellen Ubstand
gegen den blendend weißen Schnee bilden und oft Hörner genannt werden.
Unbeschreiblich schön war der Blick, den wir schon vom Tale aus auf
diese Schnee- und Felsenwelt hatten. Es war an einem schönen Übend,
das tief liegende Land war mit Dämmerung bedeckt, und nur die hohen
Bergspitzen und die schroffen Hörner leuchteten purpurn noch im Sonnen¬
licht. Welch majestätische Pracht! Der Schnee erschien nicht weiß, sondern
rötlich glühend und spielte da, wohin der Schatten fiel, in verschiedenen
Farben. Solch seltene Erscheinung nennt man das Ulpenglühen.
Jetzt schlagen wir unsern Weg seitwärts über einen Ferner oder
Gletscher ein, dergleichen es viele in den Ulpen gibt. Wenn die höhen
mit Schnee so sehr beladen sind, daß sie ihn nicht mehr halten können,
stürzt er in ungeheurer Masse in die Nächstliegende Mulde. Selbst
die größte Hitze des Tages kann nur einen Teil schmelzen,' schon in der
Nacht friert es wieder. Nus dem körnigen Firnschnee entsteht allmählich
eine Liszunge, der Gletscher. Unsere Spitzenstöcke in den Händen, die
Nagelschuhe an den Füßen, betreten wir den nächsten Lisstrom. Bei jedem
Tritt entwickelt er neue Schönheiten, aber auch neue Gefahren, herrlich
schimmert im Sonnenglanz das Eis in weißer, roter, hauptsächlich aber
blauer und grüner Farbe. Bergauf, bergab schreiten und klettern wir