Full text: Lesebuch für deutsche Volksschulen

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Eichen- und Buchenblätter zu verfärben beginnen, daß die Heuschrecken 
von den Wiesen verschwinden und daß die Beeren des schwarzen 
Holunders welk und dürr an den Zweigen hängen. Dann begannen 
die Schwalben ihre fröhlichen Übungen hoch über den Dächern und 
Bäumen des Dorfes und erzählten des Abends, wenn sie in langen 
Reihen nebeneinander saßen, von den Freuden der Reise und von 
den Wundern des Südens. Unb am nächsten Morgen waren sie 
fort, und andere rückten von Norden her nach, flogen spielend in den 
Lüften, plauderten des Abends auf dem Rande des Kirchendaches 
oder am Gartenzaun m\b waren über Nacht fortgezogen, um wieder 
anderen Leuten Platz zu machen, die nun Tag um Tag immer eiliger 
auf der ungemessenen, lustigen Heerstraße gezogen kamen. 
Nach und nach begann eine wahre Jagd; vom Morgen bis zum 
Abend hastete und stürmte das Vogelvolk dem Süden zu. Lerchen, 
Wachteln, Drosseln, Stare, Wildgänse, Schnepfen, Bachstelzen, Möwen, 
Dohlen — lange, lange Züge kamen über das Tal, über den Fluß; 
Tausende und aber Tausende von grauen Stelzen herbergten Nacht 
um Nacht in den Weiden, auf den Sandinseln. Wie glänzendgraue 
Blätter sahen die Vögel aus, wenn sie im letzten bleichen Tageslichte 
beisammen saßen, so viele, daß die grünen Äste sich zur Erde neigten. 
Und am Margen — war das ein Eilen, Rufen, Fliegen! Zuerst wurde 
am Ufer gebadet, dann in den Büschen nach einem Imbisse gesucht, 
und dann ging es hinauf in die Lüste, hoch hinauf, über die Bäume, 
über die Nebelwolken, hinauf in den klaren Sonnenschein und fort, 
fort dem Süden zu! 
In dem Getreidelande hinter dem Dorfe sieht die Feldmaus zur 
Tür ihres Hauses hinaus und rümpft das Näschen. Was soll ihr 
der nackte, feuchte Ackergrund? Kein schützender Halm, kein würziges 
Körnchen am Wege: alles reizlos, freudlos, dem Herbste untertan. 
Einsam ist es draußen. Der Frosch ist schlafen gegangen, die Eidechse 
hat ihr Haus unter dem Grenzsteine am Wege bezogen und träumt 
dort den Winter durch. Kein Falter läßt sich sehen, nur hie und da 
geht ein lebensmüder Laufkäfer langsam des Weges, ein Greis seines 
Volkes, der sein ganzes Geschlecht sterben sah. 
Es ist ein trübseliger Anblick, dieses stille, nebeldurchseuchtete Land, 
und die Feldmaus denkt: „Wandere, wer wandern kann!" Und Gott 
sei Dank, sie kann es. Wohl nicht weit führt sie ihre Reiselust, nur 
in die nächste Scheuer oder in das. Haus hinter dem nächsten Garten 
oder in die Speisekammer, die daneben steht und in deren alter Mauer 
sie sich einrichtet. von Enderes,
	        
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