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Wir gehen indeß jetzt noch um einige Schritte zurück und beginnen
mit dem größten der römischen Geschichtschreiber, dem wir bereits bei
Gelegenheit der Schilderung unserer germanischen Urväter begegnet sind,
dem Cornelius Tacitus, welcher während der Regierungszeit des
Domitian und Trajan lebte und einen reichen Schatz von Schriften hinter¬
ließ, die glücklicherweise größtcntheils für uns erhalten sind.
Etwa hundert Jahre nach Augustus faßte der große Geschichtschreiber,
nachdem er in seinen Annalen und Historien die Geschichte der rö¬
mischen Kaiserzeit dargestellt, in tiefer sittlicher Betrübniß über Roms
Versunkenheit und Entartung den Vorsatz, durch Schilderung der Sitten,
Lebensweise und Einrichtungen der deutschen Völkerschaften seinem
gefallenen Vaterlande einen Spiegel vorzuhalten. Diesem Entschluß ver¬
danken wir die erste genaue Kunde über unser Vaterland. Zu dem Schön¬
sten, was Tacitus geschrieben, gehört nicht minder die Lebensbeschreibung
seines Schwiegervaters Agr icol a. Mit ergreifender Tiefe und Menschen-
kenntniß zeichnet Tacitus die Schlechtigkeiten, Ränke, das ganze, von Ehr¬
sucht, Neid und von Begierden und Leidenschaften aller Art erregte und
bewegte Treiben eines überbildeten, sittenlosen und schwelgerischen Hofes;
er kehrt die innerste Natur der Handelnden zu Tage, aus ihrem Charakter
die Motive ihrer Thaten zu entnehmen, und es thut seinem, für Frei¬
heit, Vaterland und Menschenwürde glühenden Herzen wohl, die einzelnen
Größen, welche als glänzende Sterne in der Dunkelheit der damaligen Zeit
leuchten, in vollem Glanze erscheinen zu lassen.
Von den übrigen römischen Geschichtschreibern kommt keiner dem
Tacitus auch nur entfernt an Werth und Tiefe gleich. Curtius Ru-
fus hat Alexanders Thaten durch prunkende Schilderungen übertrieben
und dadurch verkleinert. Florus behandelte die römische Geschichte mit
epigrammatischer Kürze und schwülstigem Pomp. Besser sind die Lebens¬
beschreibungen der zwölf ersten Kaiser von Suetonius Tranquillus;
Valerius Maxi mus und Justinus reihen sich an, während die
klägliche Zeit der Soldatenherrschaft eine klägliche Sammlung kleiner Ge¬
schichtschreiber erweckt hat. Von Eutropius besitzt man einen Abriß
der römischen Geschichte. Den Schluß macht Ammianus Marcel-
linus, der die spätere Kaisergeschichte in geordneter Darstellung, kritischer
Anordnung voll begeistertem Eifer, mit Wahrheitsliebe und frei von re¬
ligiösen Vorurtheilen behandelt hat; aber seine schwerfällige Sprache und
der geschmacklos poetische Ton seines Ausdrucks verrathen den literarischen
Ungeschmack seiner Zeit.
Viel bedeutender sind die griechischen Geschichtschreiber der Kaiser¬
zeit, vor allen Plutarch, durch feine philosophischen Schriften, besonders
durch seine Biographien berühmter Griechen und Römer hoch geschätzt.
Arrian, ein Schüler des stoischen Philosophen Epiktet, schrieb über
das Kriegswesen und Alexanders Feldzüge. Von Dio Cassius ist eine