Full text: Lesebuch für höhere Bildungsanstalten (4)

I Erzählende Schreibart. 
(Erzählende Prosa und epische Poesie,) 
Das Wesen der erzählenden Schreibart besteht in der schriftlichen Dar¬ 
stellung von Begebenheiten, welche, dem Menschenleben entnommen, durch die 
Freiheit des Willens erzeugt worden sind. Diese Schreibart umfaßt das Leben 
in allen Verhältnissen und Erscheinungen und stellt in der Thätigkeit der theil- 
nehmenden Personen die Begebenheit nach Eintritt, Verwicklung, Entwick¬ 
lung und Vollendung dergestalt dar, daß jene Personen nicht im Hintergründe 
der Vergangenheit ruhen, sondern, in den Kreis der Gegenwart gezogen, das Er¬ 
zählte lebhaft vergegenwärtigen und Leser wie Hörer als Mitlebende in die Mo¬ 
mente des Werdens und Seins versetzen. Die dargestellte Begebenheit kann 
entweder demGebiete der Geschichte entnommen oder von der Phantasie 
erfunden sein. Interessant ihrem Inhalte nach, ist es nöthig, daß durch die 
Darstellung dieses Interesse zur Geltung gebracht und gesteigert werde. Bei'der 
Vorführung der Charaktere darf die allgemeine Wahrheit nicht verletzt werden und 
Handlung wie Ereignisse müssen mit dem Charakter der Handelnden im genauesten 
Zusammenhange stehen. Die Form der Schreibweise kann theils die poetische, 
theils die prosaische sein. Zur erzählenden Schreibart werden gerechnet: 1) die 
Erzählung (Novelle und Roman mit inbegriffen); 2) das Heldengedicht 
oder Epos; 3) die Ballade und Romanze; 4) die Sage und Mythe; 
5) die Legende; 6) das Märchen; sowie 7) die Idylle. 
1. Die Erzählung (prosaische und poetische aus dem Gebiete der Wirklichkeit 
und Dichtung) 
umfaßt Geschehenes oder als geschehen Gedachtes und stellt eine von Menschen ausgeführte 
Begebenheit dar, zu welcher jedoch weder ein einzelner hervorstechender Charakter, noch ein 
Held wesentlich erforderlich ist. Die Handlung ist der Mittelpunkt, und die dem Stoffe 
angemessene Darstellung die Hauptaufgabe der Erzählung. Ihrem Inhalte nach kann 
sie ernsthaft oder komisch, ihrer Form nach poetisch oder prosaisch sein, doch sind 
Schönheit und Leichtigkeit für beide Formen unerläßliche Bedingungeu. Novelle und 
Roman, sowie volksthümliche Erzählung gehören in diese Gattung der erzählenden 
Schreibart. Das Nachstehende enthält als Belege mehrere Erzählungen in Poesie und 
Prosa, bezüglich ihrer Verfasser, in chronologischer Aufeinanderfolge. 
1. Philippus, König von Macédonien, und Aster. 
Philippus war bemüht, in Thracien zu dringen, 
Und in dem Hinzug noch Menthone zu bezwingen, 
Als Aster, den man dort den besten Schützen hieß, 
Sich diesem Könige zum Dienst entbieten ließ. 
Ihn rühmten Hof und Land; von Allen ward erzählet, 
Nur dieser habe nie der Schüsse Ziel verfehlet, 
Weil sein geschwinder Pfeil, dem er die Kraft ertheilt,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.