I Erzählende Schreibart.
(Erzählende Prosa und epische Poesie,)
Das Wesen der erzählenden Schreibart besteht in der schriftlichen Dar¬
stellung von Begebenheiten, welche, dem Menschenleben entnommen, durch die
Freiheit des Willens erzeugt worden sind. Diese Schreibart umfaßt das Leben
in allen Verhältnissen und Erscheinungen und stellt in der Thätigkeit der theil-
nehmenden Personen die Begebenheit nach Eintritt, Verwicklung, Entwick¬
lung und Vollendung dergestalt dar, daß jene Personen nicht im Hintergründe
der Vergangenheit ruhen, sondern, in den Kreis der Gegenwart gezogen, das Er¬
zählte lebhaft vergegenwärtigen und Leser wie Hörer als Mitlebende in die Mo¬
mente des Werdens und Seins versetzen. Die dargestellte Begebenheit kann
entweder demGebiete der Geschichte entnommen oder von der Phantasie
erfunden sein. Interessant ihrem Inhalte nach, ist es nöthig, daß durch die
Darstellung dieses Interesse zur Geltung gebracht und gesteigert werde. Bei'der
Vorführung der Charaktere darf die allgemeine Wahrheit nicht verletzt werden und
Handlung wie Ereignisse müssen mit dem Charakter der Handelnden im genauesten
Zusammenhange stehen. Die Form der Schreibweise kann theils die poetische,
theils die prosaische sein. Zur erzählenden Schreibart werden gerechnet: 1) die
Erzählung (Novelle und Roman mit inbegriffen); 2) das Heldengedicht
oder Epos; 3) die Ballade und Romanze; 4) die Sage und Mythe;
5) die Legende; 6) das Märchen; sowie 7) die Idylle.
1. Die Erzählung (prosaische und poetische aus dem Gebiete der Wirklichkeit
und Dichtung)
umfaßt Geschehenes oder als geschehen Gedachtes und stellt eine von Menschen ausgeführte
Begebenheit dar, zu welcher jedoch weder ein einzelner hervorstechender Charakter, noch ein
Held wesentlich erforderlich ist. Die Handlung ist der Mittelpunkt, und die dem Stoffe
angemessene Darstellung die Hauptaufgabe der Erzählung. Ihrem Inhalte nach kann
sie ernsthaft oder komisch, ihrer Form nach poetisch oder prosaisch sein, doch sind
Schönheit und Leichtigkeit für beide Formen unerläßliche Bedingungeu. Novelle und
Roman, sowie volksthümliche Erzählung gehören in diese Gattung der erzählenden
Schreibart. Das Nachstehende enthält als Belege mehrere Erzählungen in Poesie und
Prosa, bezüglich ihrer Verfasser, in chronologischer Aufeinanderfolge.
1. Philippus, König von Macédonien, und Aster.
Philippus war bemüht, in Thracien zu dringen,
Und in dem Hinzug noch Menthone zu bezwingen,
Als Aster, den man dort den besten Schützen hieß,
Sich diesem Könige zum Dienst entbieten ließ.
Ihn rühmten Hof und Land; von Allen ward erzählet,
Nur dieser habe nie der Schüsse Ziel verfehlet,
Weil sein geschwinder Pfeil, dem er die Kraft ertheilt,