Full text: Deutsche Dichtung in der Neuzeit (Abt. 2)

Erster Abschnitt. 
Deutsche Dichtung im Zeitalter der Deformation. 
1500—1624. 
(Übergangszeit. Die Sprache ist die neuhochdeutsche. Die poetische Form ist 
entweder gekünstelt wie im vorigen Zeitraum, oder sie verwildert. Die Poesie bleibt in 
den, Händen der Bürger, wird aber allmählich ausschließliches Eigentum der Gelehrten. 
Gepflegt werden: die poetische Erzählung, der Meistergesang, das Volkslied und das 
Kirchenlied; daneben geht die Weiterentwickelung des Dramas. Beherrscht und durch¬ 
drungen werden fast alle diese Gattungen durch den dem Reformationszeitalter eigenen 
lehrhaft-satirischen Charakter.) 
1. Von den Ereignissen, welche zn Beginn des sechzehnten Jahrhunderts 
eine neue Zeit begründeten, waren für die deutsche Litteratur von größerer 
Bedeutung: die Erfindung der Buchdruckerkunst, die Wiederbelebung der klassischen 
Studien und vor allem die Reformation. Indessen war die Reformation doch wenig 
dazu geeignet, der klassischen Periode der deutschen Dichtkunst den Weg zu bahnen, 
und die Litteratur dieses Zeitraumes ist recht eigentlich die Fortsetzung derjenigen 
ans dem vorigen Jahrhundert; nur trägt sie den Charakter praktischer Ver¬ 
ständigkeit und zeigt sich von den lehrhaften Bestrebungen der Zeit durchdrungen. 
Alle Bewegungen der Reformation spiegeln sich in ihr wieder, ja, die Dicht¬ 
kunst wird selbst eine Hauptwaffe im Kampfe der Parteien; dagegen gewinnt 
sie im Vergleich zu dem letzten Zeitraum des Mittelalters an Tiefe und Kraft. 
2. Im Vordergründe dieses Zeitalters steht M. Luther, einmal insofern 
er der ganzen Litteratur des 16. Jahrh, durch die Reformation den lehrhaften 
Charakter aufgedrückt hat, dann wegen seiner Verdienste für die Niedersetzung 
der neuhochdeutschen Schriftsprache und endlich als der Begründer des evange¬ 
lischen Kirchenliedes. NxNn ihm ist als der eigentlich dichterische Mittelpunkt 
in der ersten Hälfte des Jahrhunderts zu betrachten Hans Sachs, während 
in der zweiten Hälfte eine ähnliche Stellung Johann Fischart behauptet. 
3. Die einzige Gattung der epischen Poesie, welche in diesem Zeit¬ 
raum gepflegt wurde, ist die poetische Erzählung. Am fruchtbarsten in 
dieser wie in allen übrigen Dichtungsarten war Hans Sachs, der allein 
1700 solcher Erzählungen geschrieben hat; eines der vorzüglichsten Produkte 
der erzählenden Dichtung ist das „glückhafte Schiss von Zürich" von Johann 
F i s ch a r t. 
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