Full text: Lehrbuch zur Kenntniß der verschiedenen Gattungen der Poesie und Prosa für das weibliche Geschlecht, besonders für höhere Töchterschulen

190 
Jeder Akt muß ein Ganzes für sich ausmachen; daher ist es nicht 
gleichgültig, mann ein Akt endigt; es muß die Handlung wirklich 
einen Nuhepunkt nöthig machen. Mehr als 5 Akte pflegen nicht 
leicht vorzukommen. Die Akte zerfallen wieder in Scenen oder 
Auftritte, deren kürzere oder längere Dauer von dem Gange 
der Handlung abhängt. 
Vor Allem muß jedes dramatische Stück Einheit der Hand¬ 
lung zeigen. 
Zur Einheit der Handlung gehört, daß alle Personen, 
Handlungen und Ereignisse nothwendig zuni Ganzen gehören. 
Es darf danach keine Person, kein Akt, keine Scene überflüssig 
sein; jedes muß zur Bildung des Ganzen etwas beitragen. Finden 
wir, daß etwas, unbeschadet des Ganzen oder wohl gar zum Vor¬ 
theile des zu machenden Eindrucks, hätte wegbleiben können, so 
hat der Dichter gegen die Einheit der Handlung gefehlt. 
Seinen Stoff kann der Dichter entweder aus der Geschichte 
nehmen (historisches Drama), und dann steht ihm wie dem epi¬ 
schen Dichter frei, von der historischen Wahrheit abzuweichen, so 
viel wie er will, oder er schöpft ihn aus seiner Phantasie. 
Alle dramatischen Gedichte werden in vier Klassen geordnet: 
das Trauerspiel, das Lu st spiel, das Schauspiel und das 
Singspiel. 
1. Das Trauerspiel (Tragödie). 
Wie bei'm ernsten Heldengedicht sehen wir im Trauerspiel den 
Helden des Stücks gegen die wider ihn anstürmende Gewalt des 
Schicksals oder der Leidenschaften kämpfen. Immer aber müssen 
es sittliche Mächte sein, mit welchen er in Conflikt geräth; 
denn das Tragische im Drama ist das sittlich Erhabene. Die 
Seelengröße des Helden erweckt bei den Zuschauern lebhafte 
Theilnahme für sein Schicksal. Bald fürchten sie, er werde unter¬ 
liegen, bald hoffen sie, er möge den Sieg davon tragen, bis er 
zuletzt wirklich unterliegt. Aber der Schmerz darüber im Herzen 
der Zuschauer wird gemildert durch die Bewunderung der Kraft 
des Helden selbst im Augenblicke seines Falles. Darum muß der
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.