Full text: Lehrbuch zur Kenntniß der verschiedenen Gattungen der Poesie und Prosa für das weibliche Geschlecht, besonders für höhere Töchterschulen

Dritter Abschnitt. 
Der Wriesstys. 
Der Brief soll die mündliche Unterhaltung zwischen uns und 
abwesenden Personen ersetzen. Daher muß derselbe Ton der Freund¬ 
schaft, der Hochachtung, der Höflichkeit, des Anstandes darin herr¬ 
schen, den wir in der mündlichen Unterhaltung gebraucht haben 
würden. Wir denken uns genau das Verhältniß, in welchem 
wir mit der Person stehen, an welche wir schreiben, und danach 
wird dieser Ton bald vertraulicher, bald förmlicher sein. 
Indessen unterscheidet sich der Brief von der mündlichen Un¬ 
terhaltung dadurch: 1) daß die Sprache edler ist als bei dieser. 
Im mündlichen Gespräch erlaubt man sich wohl manche Ausdrücke 
und Wendungen, die nicht gewählt genug sind, aber bei der Schnel¬ 
ligkeit der Unterhaltung nicht ausfallen; 2) dadurch, daß die Ge¬ 
danken kürzer ausgedrückt sind und geordneter vorgetragen werden. 
Denn in der mündlichen Unterhaltung findet oft eine gewisse Breite 
und Umständlichkeit statt, die sich der Briefschreiber nicht erlauben 
darf. Dasselbe ist mit den Wiederholungen der Fall, die in einem 
Briefe nicht vorkommen dürfen. Der Brief wird gelesen, viel¬ 
leicht mit Aufmerksamkeit, wohl gar mehrere Male gelesen; jeder 
Verstoß gegen die Sprachregeln, den Wohlklang, die Wortsetzuug, 
die Ordnung würde also mehr auffallen als in der Rede. 
Es kann aber sehr verschiedene Arten von Briefen geben. 
Dies hängt ab theils von dem Verhältniß, in dem wir zu unserem 
Correspondenten stehen, theils von dem Gegenstände des Briefes. 
Ganz anders ist ein Brief an einen Freund, als der eines Vaters 
an seine Tochter, eines Kaufmanns an seinen Handelsfreund,
	        
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