Full text: Lehrbuch zur Kenntniß der verschiedenen Gattungen der Poesie und Prosa für das weibliche Geschlecht, besonders für höhere Töchterschulen

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eines Untergebenen an seinen Vorgesetzten, einer Schülerin an ihren 
Lehrer u. s. w. Ebenso wird der Gegenstand des Briefes den 
darin herrschenden Ton bestimmen. Ganz anders ist der Ton, 
wenn eine Freundin der andern den Tod ihrer Mutter, als wenn 
sie ihr eine bevorstehende Reise meldet; oder wenn wir um ein 
Darlehn bitten, uns wegen einer Beleidigung entschuldigen, eine 
Nachlässigkeit rügen, um eine Gnade bitten, oder einen wissen¬ 
schaftlichen Gegenstand abhandeln. Dazu kommt noch, daß Jeder 
seine eigene Art des Styles hat, die sich oft so deutlich ausprägt, 
daß man daraus auf den uns bekannten Verfasser schließen kann. 
Man macht Zwar an den Brief nicht so strenge Anforderungen 
als an die andern Arten des Styles, weil er in der Regel nicht 
für den Druck bestimmt ist. Indessen verlangt man doch, daß 
er nicht nur den Regeln der Grammatik und der Rechtschreibung 
entspreche, sondern auch Wohlklang und Rundung habe. Aus 
der Art des Briefstyls kann man meist auf den Grad der Bil¬ 
dung des Briefschreibers schließen. Im Allgemeinen ist der Brief 
um so schöner, je einfacher er ist, und doch dabei Wohlgefallen 
an seiner Form erweckt. 
Die Briefe zerfallen in 5 Klassen: 
1. vertrauliche Briefe, zwischen solchen Personen, die durch Familien¬ 
verbindungen oder Freundschaft einander nahe stehen; 
2. conventionelle Briefe (Höslichkeitsbriese), zwischen solchen, die in 
entfernten Verhältnissen stehen; 
3. witzige und launige (humoristische) Briefe, die nur zwischen 
solchen Personen gewechselt werden können, welche mit einander in 
genauer Bekanntschaft stehen; 
4. belehrende Briefe; 
5. Geschäftsbriefe. Diese gehören besser zu dem Geschästsstyl, weil 
die briefliche Einkleidung nur Nebensache ist. 
1. vertrauliche Briefe. 
Sie treten an die Stelle der mündlichen Unterhaltungen mit 
solchen abwesenden Personen, die mit uns durch die Bande der 
Freundschaft oder der Natur verbunden sind; also sind es Eltern, 
Geschwister, Kinder, Gatten oder andere Verwandten, Freunde 
und Freundinnen, Lehrer und Schüler u. s. w., die sich darin 
ihre Gefühle oder Ereignisse mittheilen, und dadurch ihre freund¬ 
liche Verbindung fortsetzen. Dergleichen Briefe binden sich weniger
	        
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