Full text: Lehrbuch zur Kenntniß der verschiedenen Gattungen der Poesie und Prosa für das weibliche Geschlecht, besonders für höhere Töchterschulen

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sprechen meine Pflicht ist. Ich mache den Ansang meines Briefes mit einer 
kleinen Reisebeschreibung. 
Den 10. Mai ging ich mit Quasi-Postpferden, nachdem ich von halb 
5 Uhr bis um 7 auf sie gewartet hatte, in der Gesellschaft meines Famulus 
und noch eines Studenten, herzlich unzufrieden nach Rippach ab. Der Him¬ 
mel war sehr neblig, aber mein Kops war es noch mehr. Ohne Pelz fror 
ich, und im Pelze wollte ich verschmachten. Meine drei Pferde, ein weißes, 
ein schwarzes und ein braunes, schliefen im Gehen, und der Postillon ver¬ 
sicherte mir, daß er krank, noch viel müder als seine Pferde, und aus meine 
Reise gar nicht Wohl zu sprechen sei. Ich ertrug alles dies mit einer mürri¬ 
schen Geduld, aß vor Unzufriedenheit eine halbe Semmel, die mir sehr bitter 
schmeckte, und kam endlich in Markranstädt an, wo die Pferde getränkt, und 
ein Schmied und ein Wagner herbeigerufen wurde, um eine Besichtigung an 
meinem Wagen, der dem Grafen F. gehörte, anzustellen. Der Postillon be¬ 
hauptete, der Wagen würde nicht bis Rippach halten, wenn er nicht gemacht 
würde. Vermuthlich wollte er Zeit zur Erholung für sich und seine Pferde 
gewinnen, und der Schmied sagte, wenn er nicht 3 bis 4 neue Schrauben von 
seiner Arbeit an diesen Wagen ansetzte, so würde er für immer unbrauchbar 
bleiben. Mit dem Wagner ließ ich mich gar nicht ein; denn er sagte, der 
Mann, der diesen Wagen gebaut hätte, müßte gar keinen Menschenverstand, 
und der ihn gekauft, viel Geld übrig, und nicht viel Verstand mehr als wie 
der Meister gehabt haben; kurz, ich war in der Gewalt des Schmieds, der 
eine Schraube nach der andern abriß, und neue machte, und sie ansetzte, und 
mich einmal über das andere anfuhr, daß ich mit einer solchen Chaise zu 
fahren mir kein Gewissen machte. Indem ich also hielt, kam die Frau von *** 
mit ihrer Familie, sieben Personen in Einem Wagen. Ich mußte nothwendig 
aus dem meinigen aussteigen und sie becomplimentiren. — „Wo wollen Sie 
denn hin, Herr Professor?" — Nach Bonau, gnädige Frau. — „Wo liegt 
das Bonau?" — Bei Weißenfels, Naumburg und Zeitz. — „Es kann doch 
nicht bei allen drei Orten liegen?" — Ach ja; es liegt bei allen dreien; ich 
kann es nicht ändern. — „Was wollen Sie denn in Bonau?" — Nichts 
auf der ganzen Welt nichts, gnädige Frau. — „Ich schickte gestern in Leipzig 
nach Ihnen, Herr Professor; da ließ man mir sagen, Sie wären in ** bei **. 
Sie reisen ja recht herum." — Leider! und Sie sind nicht sicher, daß ich 
nicht auch zu Ihnen komme, wenn der Krieg noch länger dauert. — „Herr 
Professor!" fing eine der Fräulein an, „Sie stehen ja auch mit Damen in 
Briefwechsel?" — Ich? Mit Damen? — „Ja, sehen Sie! ein allerliebster 
Brief!" — Ich mochte nicht sehen noch wissen, was für einen Brief sie 
meinte, oder wie sie dazu gekommen wäre; genug, dies Compliment und das 
Hammern des Schmieds brachten mich vollends um alle meine Gelassenheit. 
Ich konnte auch der gnädigen Frau auf alle Fragen nichts weiter antworten, 
als Ja und Nein, und Nein und Ja. Dieses hatte die Wirkung, daß sie 
den Postillon fortfahren und mich glücklich nachkommen hieß. 
Es geschah auch. Jck> erreichte Rippach um 12 Uhr. Aber zu meinem 
Schrecken erblickte ich mich hier unter lauter Freihusaren und Freibeutern.
	        
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