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III. Mittelhochdeutsche Zeit.
(Um UOO bis um \500.)
A. Erste Blütezeit -er deutschen Dichtung.
(von IJOO—1300.)
Der allgemeine religiöse Aufschwung, der schon das Zeitalter Gregors VII.
kennzeichnet, nimmt seit dem Ende des elften Jahrhunderts einen noch höheren
Flug. Die von Frankreich ausgehenden Kreuzzüge sind, soviel irdische Leidenschaft
und rohe Abenteuerlust sich unter heiliger Fahne barg, doch unzweifelhaft der Aus¬
druck einer beispiellosen religiösen Begeisterung, durch welche die Thatkraft des abend¬
ländischen Adels auf ein würdigeres Ziel als auf gegenseitige Befehdung gelenkt
wurde. Blieb Deutschland der Beteiligung am ersten Kreuzzuge noch ziemlich fern,
so stellte sich im zweiten der deutsche König Kourad III. selbst neben dem französischen
au die Spitze des Unternehmens, und viele Tausende Edler mit ihren Dienstmaunen
folgten ihm. Freilich war der Zug erfolglos, insofern die arg zusamnieugeschmolzenen
Ritterheere unverrichteter Sache umkehren mußten; in anderer Hinsicht aber war
der Erfolg ein außerordentlicher: die beiden Nationen waren zu einander in regen
Verkehr getreten; mit Eifer nahmen die Deutschen auf, worin ihnen die Franzosen
voraus waren: feinere Sitte, geistige Bildung. Auch die Berührung mit dem Orient
brachte neue Anschauungen. Der Stand, der sich zum Träger der zeitbeherrschenden
Ideen berufen sah, der der Ritter (d. h. der Edlen und ihrer Dienstmannen) trat
als geistig ebenbürtig neben den der Geistlichen, der bis dahin ausschließlich Träger
aller höheren Kultur gewesen war.
Aber auch das nationale Bewußtsein hob sich mächtig, als das große Herrscher¬
geschlecht der Staufer durch Waffenthaten und hochsinnige Bestrebungen, durch geistige
Macht der Persönlichkeiten und Glanz des höfischen Lebens alle andern Fürsten¬
häuser überstrahlte. Die aufs neue entbrennenden Kämpfe zwischen Kaiser und
Papst spannten die Geistes- und Körperkräfte aufs höchste au. Durch alles dies
strömte von allen Seiten her neue Bewegung in das Geistesleben der Nation. Kein
Wunder, daß das Zeitalter der Kreuzzüge und der Hohenstaufen eine Blütezeit
auch der deutschen Dichtung wurde und daß der Stand, der die glänzenden
Thaten der Zeit ausfocht, der Ritt er st and, der im kriegerischen Deutschland seine
rechte Stätte fand, der Frömmigkeit, Ehre, Treue, Tapferkeit, feine Zucht und Ver¬
ehrung edler Frauen auf seine Fahnen schrieb und also die Ideale der Zeit zu
verkörpern suchte, sich auch der Führung auf dem Gebiete der Poesie bemächtigte.
Der glänzenden Entfaltung der Poesie geht ein Vorfrühling voraus, der den
Übergang vom vorigen Zeitalter bildet (110()—1180.) Die Dichter sind anfangs
noch fast ausschließlich Geistliche, neben ihnen lassen sich aber auch bald die
bürgerlichen Spielleute vernehmen, die allmählich die Teilnahme höherer
Kreise gewinnen. Während diese heimische Stofie volkstümlich behandeln, führen die
geistlichen Dichter, um der Gunst des Publikums nicht verlustig zu gehen, weltliche
Stoffe aus dem Auslande ein, indem sie französische Epen übersetzen (Konrads Ro¬
landslied; Lamprechts Alexanderlied).