276 IV- Neuhochdeutsche Zeit. D. Die Litteratur des neunzehnten Jahrh.
einer stillen Messe dem Gedächtnis des armen Jünglings genug zu thun.
Aber seine Kameraden waren anderer Ansicht. Als sie oben auf dem Chor
standen, ertönte zur Verwunderung des Pfarrherrn ein schönes, sanftes Prä¬
ludium, das einer der Scholaren meisterhaft spielte. Sie hatten sich näm¬
lich heimlich den Schlüssel vom Organisten verschafft; zwei andere traten
kunstgerecht den Blasbalg, und mit einem Male intonierte der volle Chor;
Uequism aeternam äona ei8. Der Pfarrherr wollte nicht merken, worauf
es abgesehen war, und begann seine stille Messe. Aber die Schüler wußten
aufs Härlein ganz genau, wo die Orgel und das Responsorium einzusetzen
hatten, dieweil sie schon oft das Requiem gesungen, und verpaßten keinen
Augenblick. Es ging eine Weile so fort, unten mit Schweigen und droben
mit Singen. Da endlich übermannte es doch den Mann am Altar, und
er fing erst leise und danach immer lauter an zu singen, und zum Schluß
wurde es ein großes Seelenamt, wie es nur die Vermögenden und Vor¬
nehmen bekommen.
„Ihr habt mir warm gemacht," sagte der Pfarrherr, als die Gym¬
nasiasten vom Chor kamen, „und es soll nicht sein, um der Konsequenz
willen. Denn jetzt werden sie alle eins haben wollen wie der Joseph;
aber was kann man gegen die Liebe ausrichten?"
Die Eltern drückten den braven Gymnasiasten die Hand, und die
Mutter hatte so etwas im Blick, als wollte sie sagen: „Mein Joseph ist
doch wie ein Priester begraben worden." Die Gymnasiasten steuerten noch
zusammen zu einem Kranz auf das Grab. Nur der Pfarrherr ging leer
aus und doch nicht leer; denn in sein altes Herz war ein Sonnenstrahl
einer treuen Liebe gefallen, und es ist über ihn gekommen wie weiland
über Hiob, auszurufen: „O, daß ich noch wäre wie in den Tagen meiner
Jugend, wo das Geheimnis Gottes über meiner Hütte war, wo es auch
bei mir einst gesungen und geklungen!" Und wenn's so war, so hat er für
sein „großes Seelenamt" eine recht reiche Stolgebühr erhalten.
187. Weiland Kaiser Wilhelm in Gajlein.
Unter den Kränzen, die des Heldenkaisers Sarg deckten, neben den
silbernen und goldenen Blättern der Lorbeerkronen, lag auch still, im
Schmuck der Alpenflora, ein herrlicher Kranz mit der Schleife: „Gastein."
Was sollte der Kranz nicht alles erzählen, was alles sollte er nicht in
stummer Blnmensprache sagen! Wer hätte nicht in dem Kaiser verloren?
Gastein wußte es besser als viele. Ich will nicht reden von dem äußeren
Vorteil, den es hatte, aber Gasteins Glanz und Weihe war der Deutsche
Kaiser. Sie gehörten beide zusammen: Gastein und der Kaiser; die schnee¬
bedeckten Alpenhäupter und das schneebedeckte majestätische Kaiserhaupt,
beide im Sturm und Wetter unbewegt, im Sonnenglanz mild erglühend.
Ein Stück Jugendkraft brachte der Kaiser jedesmal mit herab aus dem