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VIII. Die altdeutschen Reimpaare. 237. 238.
Die beiden Eltern erschrecken, und bemühen sich, ihre Tochter auf andere Gedanken zu bringen. Diese redet aber
mit so gottseligen Worten über ihr Vorhaben, daß die Eltern zwar aufs Tiefste betrübt sind über ihre Festigkeit, aber
sich doch vornehmen, ihr nicht weiter einzureden. Darauf geht sie denselben Morgen noch zu ihrem Herrn. Die
Eltern selbst unterstützten sie und Heinrich entschließt sich zuletzt, ihr nachzugeben. Er reist mit ihr nach Salern. Dort
sucht der Arzt die Reinheit ihrer Gedanken zu prüfen, kann aber nichts anderes aus ihr herausbringen, denn daß die
lauterste Liebe für ihren Herrn und die Begierde, auf diesem Wege recht bald der himmlischen Seligkeit teilhaftig zu
werden, sie antreibe. Er führt sie also in das Zimmer und verschließt die Thür. Er entkleidet sie, bindet sie auf
den Tisch fest und nimmt sein Meßer. Als er dieses an einen Stein wetzt, hört es im Nebenzimmer der arme
Heinrich. Durch eine Öffnung in der Wand sieht er das Kind liegen. Da wird sein Herz gerührt; er macht sich
bittere Vorwürfe darüber, daß er die Leiden, die Gott ihm auferlegt, nicht willig trage. Er pocht an die Wand und
bewegt den Meister, ihn einzulaßen; verheißt ihm dann den bedungenen Lohn, das Mädchen aber solle nicht getödtet
werden: ,Gotes Wille müeze au mir geschehen.' So sehr das Kind jetzt weint und klagt, er fährt mit ihr zurück.
Ihre Betrübnis bringt sie dem Tode nahe. Da, nachdem Gott sie beide im vollen Maße versucht, wie er mit Hiob
gethan, erbarmt er sich beider, und macht den armen Heinrich gesund, daß er schön wird, wie in früher Jugend. Auch
an Ehren und Gütern macht er ihn reicher, denn vorher. Dem Meier gibt Heinrich das Bauerngut zu eigen, und
als danach seine Freunde ihm rathen, sich zu vermählen, heiratet er das treue Mädchen, das er so lange sein Ge¬
mahl genannt.
258. Aus Reinhart.
(Von Heinrich dem Glichescere. Ende des 12. Jahrhunderts. Ausgabe I. Grimms.)
(Vers 635—822.)
UEinhart zöch ze neste,
er vorhte vremde geste:
ein hüs worhter balde
vor eime loche in deme walde;
5 da truoger sine spise in.
Eines tages gienc her Jsengrin
bi daz hüs in den walt,
sin kumber was manecvalt:
von Hunger leit er arbeit,
10 ein lasier was im aber gereit.
Reinhart was wol beraten:
da hüte er gebraten
cele, die smacte Jsengrin:
er bähte ,ähi, diz mac vil wol sin
15 ein teil guoter spisen.'
der smac begundin wisen
für sines gevateren.tür:
da satzte sich her Jsengrin für:
dar an er bözen begunde.
20 Reinhart wunder künde:
er sprach ,wan gät ir niht dannen stän?
da sol tälanc nieman üz gän,
daz wizzet, noch wol her kn;
war tuostu, müedinc, dinen sin?
25 wan bert ir vil schöne?
eist tälanc after nöne:
wir münche sprcechen niht ein wort
umbe der Nibelungenhort.'^
,gevatere' sprach der Jsengrin
30 rwildu hie gemünchet sin
iemer unz an dinen töt?'
,jä ich' sprach er «ez tuot mir not :
du wölbest mir an schulde
versagen dîne hulde,
35 und wölbest nemen mir daz leben.'
Jsengrin sprach sich wil dir vergeben,
ob du mir iht habest getän,
daz ich dich müge ze gesellen hän.'
,da; mahtu' sprach Reinhart,
40 ,min leben werde niht gespart,
ob ich dir ie tcete einen wanc.
woldestu mirs wizzen danc,
zwei äles stücke goebich dir,
diu sint hiut über worden mir.'
45 Des wart Jsengrin vrö,
wite begunder grnen dö.
Reinhart warfs im in den mund.
sich wcere iemer,me gesunt,'
sprach der töre Jsengrin,
50 sioldich dâ inne koch sin.'
Reinhart sprach ,das mahtu gnuoc hän;
wildu hie bruoderschaft enphän,
du wirdest meister über die braten.'
dö wart er sän beraten: a
55 ,daz lobich' sprach Jsengrin-
,nu stöz' sprach er ,din houpt her ttt.’
Des was Jsengrin bereit:
dö nähet im silp arbeit,
dar in stiez er sin houbet gröz:
60 bruoder Reinhart in begöz
(258.) 3.3 machte, 10.6 bereit, 13. 3 roch, 19. 4 pochen, 20.3 kündete, 21.6 von dannen, 22.3 tagelang, 24.1
wohin, 25.2 klopft, 26.1 es ist, 31.2 bis, 37.4 etwas, 41.7 Abfall, 46.3 das Maul aufsperren, 54.4 sogleich.