Full text: (Viertes und fünftes Schuljahr) (Teil 2 für Kl. 6 u. 5)

in. Fabeln und Parabeln. 
54. Die zwei Freunde. 
August Gottlieb Meißner (nach Asop). 
Zwei Freunde reisten zusammen und hatten sich fest verbunden, 
in allen Fällen einander treulich Beistand zu leisten. Plötzlich begegnete 
ihnen ein Bär; ihm zu entlaufen, war unmöglich; doch mit vereinten 
Kräften wären sie vielleicht seiner Meister geworden. — Aber kaum 
erblickte ihn der eine, so kletterte er, so schnell er konnte, auf einen 
nahen, hohen Baum. Der zweite hingegen, der sich im Stiche gelassen 
sah, warf sich mit dem Gesicht platt auf den Erdboden hin und hielt 
sorgfältig den Odem an, weil er oft gehört hatte, daß der Bär keine 
toten Körper verzehre. — Auf ihn kam auch jetzt das furchtbare Tier 
geraden Wegs zu, beroch und beleckte ihn lange Zeit, hielt ihm die Nase 
an Mund und Ohren, ließ ihn aber gleichwohl endlich unverletzt liegen, 
weil es gar kein Leben in ihm verspürte. — Kaum war der Bär in 
den Wald zurück und die Gefahr vorüber, als jener Flüchtling vom 
Baum herunterstieg und mit höhnischem Lächeln seinen Gefährten fragte, 
was das Tier ihm Gutes ins Ohr gewispert habe. — „Wahrlich, eine 
sehr gute Lehre," antwortete dieser, „die ich wohl früher schon gewußt 
zu haben wünschte, denn er riet mir: Laß dich nie mit Leuten ein, 
die ihre Freunde zur Zeit der Not verlassen!"
	        
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