Full text: Lesebuch für Brandenburg

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Gemeinde noch reichlich Saatkorn zu senden. In ihrer dankbaren Rührung 
gestanden sie ihrem Wohltäter, daß seine Mildtätigkeit ihnen unerwartet 
komme, weil sie ihn wegen des dem Knechte erteilten Vorwurfs für genau 
gehalten hätten. „Liebe Freunde,“ antwortete der Bauer, „eben dadurch, 
daß ich das Meinige jederzeit zu Rate hielt, wurde es mir möglich, gegen 
Notleidende wohltätig sein zu können.“ 
Eberhard von Rochow. (Der Kinderfreund.) 
20. Geiz ist die Wurzel alles Ubels. 
L. Die Jahre 1779, 1780 und 1781 waren rechte Wasser- und Hunger- 
jahre. Damals lebte in der Odergegend ein Mann, dessen Feld war 
Hõhenland und hatte gut getragen, und es var grob, so dab er eine ge- 
waltige Masse von Roggen in der Scheuer und endlich auf dem Boden 
hatte. Hoch waren die Preise schon im Herbst; mit dem Winter und 
dem Frũhjahr stiegen sie immer höher. Mancher Handelsmann klopfte 
an die Tür des Reichen; mancher Handwerker bettelte, er möchte ihm 
doch für gutes Geld ein Scheffelehen ablassen. Alle aber wurden abge- 
wiesen mis der Antwort: „Ich habe mir einen Satz gemacht; der Boden 
wird nieht eher geöffnet, als bis der Scheffel vier Taler kostet. Dabei 
bleibe ich!“ Zum Zeichen hatte er an die Bodentür eine grohe, sohwarze 4 
mit Kohle gemalt. 
2. Der Winter verging, der Mai kam heran, und die Preise waren 
noch gestiegen; denn die Fluten hatten grohen Schaden getan. Am 
7. Mai kam ein armer Leinweber, ein ehrlicher Meister aus dem Orte. 
Sein Gesicht sah vor Hunger und Grämen selbst aus wie graue Lein- 
wand. Er zahlte ihm, damit der reiche Mann Geld sähe, für einen 
Scheffel 3 Taler 22 Groschen auf den Tisch. Die 22 Groschen bestanden 
aus Dreiern, Sechsern und Groschen, denn der Mann hatte alles Geld 
zusammengesucht. Aber der Bauer sprach: „Euer Aufzählen hilft 
Euch nichts; der Scheffel kostet vier Taler, das ist mein Satz. Eher 
tue ich meinen Boden nicht auf. Und dann mub es ordentliche Münze 
sein und nicht so zusammengesuchtes Geld.“ Des Bauern Söhnlein. 
ein Bürschehen von zehn Jahren, zupfte den Alten am Rock: „Vater, 
gebt's ihmn doch!l Aber der Vater prügte ihm mit einem Rippenstoß 
andre Grundsätze ins Herz. Der Weber mubte sein Geld zusammen- 
streichen und heimwandern. 
3. Am 8. Mai in der Abenddämmerung kam die Zeitung an. Ein 
Blick hinein, und der Bauer fand, was er finden wollte: „Roggen vier 
Taler.“ Da zaitterten ihm die Glieder vor Freude. Er nahm ein Licht,
	        
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