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IV. Fabeln, Parabeln, Sprichwörter. <br>
79. Die Pfauen und die Krähe. <br>
Eotthold Ephraim Lessing. <br>
Eine stolze Krähe schmückte sich mit den ausgefallenen Federn der <br>
farbigen Pfauen und mischte sich kühn, als sie genug geschmückt zu sein <br>
glaubte, unter diese glänzenden Vögel der Juno. Sie ward erkannt, <br>
und schnell fielen die Pfauen mit scharfen Schnäbeln auf sie, ihr den <br>
betrügerischen Putz auszureisen. <br>
„Lasset nach!" schrie sie endlich; „ihr habt nun alle das Eurige <br>
wieder." Doch die Pfauen, die einige von den eignen glänzenden Schwung¬ <br>
federn der Krähe bemerkt hatten, versetzten: „Schweig', armselige Närrin; <br>
auch diese können nicht dein sein!" — und hackten weiter. <br>
80. Der Oeirige. <br>
Gotthold Ephraim Lessing. <br>
„Ich Unglücklicher!“ klagte ein Geizhals seinem Nachbar. „Man <br>
hat mir den Schatz, den ich in meinem Garten vergraben hatte, diese <br>
Nacht entwendet und einen verdammten Stein an dessen Stelle <br>
gelegt." <br>
„Du würdest," antwortete ihm der Nachbar, „deinen Schatz <br>
doch nicht genutzt haben. Bilde dir also ein, der Stein sei dein <br>
Schatz, und du bist nichts ärmer." <br>
„Wäre ich auch schon nichts ärmer," erwiderte der Geizhals, <br>
„ist ein andrer nicht um so viel reicher? Ein andrer um so viel <br>
reicher? Ich möchte rasend werden."