Full text: (Sechstes und siebentes Schuljahr) (Teil 3 für Kl. 4 u. 3)

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Minuten verstimmt gesehen hätte, dann brach der unverwüstliche Sonnen¬ 
schein seines Innern siegreich wieder hervor, und er wußte auch die 
schlimmste Sache so zu drehen und zu wenden, daß ein Rosenschimmer 
von ihr ausging. Er hatte in Hannover, wo wir zusammen die Technische 
Hochschule besuchten, eine ganz geringe Unterstützung von Hause und 
erwarb sich das Notdürftige durch schlecht bezahlte Privatstunden, dabei 
schloß er sich aber von keiner studentischen Zusammenkunft aus und, was 
für mich das Rätselhafteste war, er hatte fast immer Geld, so daß er 
andern etwas zu borgen vermochte. 
Eines Winterabends befand ich mich in der, ich muß es gestehen, 
nicht allzu seltenen Lage, daß meine sämtlichen Hilfsquellen versiegt 
waren, während mein Wechsel erst in einigen Tagen eintreffen konnte. 
Nach sorgfältigem Umdrehen aller Taschen und Aufziehen sämtlicher 
Schubladen hatte ich noch dreißig Pfennig zusammengebracht, und mit 
diesem Besitztum, das einsam in meiner Tasche klimperte, schlenderte ich 
durch die Straßen, in eifriges Nachdenken über die vorteilhafteste Anlage 
dieses Kapitals versunken. In dieser Gedankenarbeit unterbrach mich 
Hühnchen, der plötzlich mit dem fröhlichsten Gesicht von der Welt vor 
mir stand und mich fragte, ob ich ihm nicht drei Taler leihen könne. Da 
ich mich nun mit der Absicht getragen hatte, ein ähnliches Ansinnen an 
ihn zu stellen, so konnte ich mich des Lachens nicht enthalten und machte 
ihm die Sache klar. ,,Famos," sagte er, „also dreißig Pfennig hast du 
noch? Wenn wir beide zusammenlegen, haben wir auch nicht mehr. Ich 
habe soeben alles fortgegeben an unsern Landsmann Braun, der das 
Geld notwendig brauchte. Also dreißig Pfennig hast du noch? Dafür 
wollen wir uns einen vergnügten Abend machen!" 
Ich sah ihn verwundert an. 
„Eib mir nur das Geld," sagte er, „ich will einkaufen — zu Hause 
habe ich auch noch allerlei — wir wollen herrlich leben heute abend — 
herrlich sage ich!" 
Wir gingen durch einige enge Gassen der Ägidienvorstadt zu seiner 
Wohnung. Unterwegs verschwand er in einem kleinen, kümmerlichen 
Laden, der sich durch ein paar gekreuzte Kalkpfeifen, einige verstaubte 
Zichorien- und Tabakspakete, Wichsschachteln und Senftöpfe kennzeichnete, 
und kam nach kurzer Zeit mit zwei Tüten wieder zum Vorschein. 
Leberecht Hühnchen wohnte in dem Giebel eines lächerlich kleinen 
und niedrigen Häuschens, das in einem ebenso winzigen Garten gelegen 
war. In seinem Wohnzimmer war eben so viel Platz, daß zwei an-
	        
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