Full text: [Teil 1, [Schülerband]] (Teil 1, [Schülerband])

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Fortsetzungen des Gebirgszuges ragen in die Beckenmündung hin¬ 
ein und bilden verborgene, trauliche Buchten, seltener grüne Inseln. 
Einzelne Hirten- oder Fischerwohnungen, manchmal kleine Dörf¬ 
chen, siedeln sich am Gestade an und die fleißigen Menschen suchen 
ihr Brot bald in der Tiefe des Wassers bald an den grünen Ga¬ 
lerien der nahen Gebirge. 
Von den unteren Gebirgsseen unterscheiden sich vielfach die 
höhergelegenen, tiefgrünen, blauen oder weißlich-grauen Alpen¬ 
feen, die eine schöpferische Hand so reichlich über das Gefilde von 
Bergen und Tälern hingestreut hat. Es find nur ganz kleine, ge¬ 
wöhnlich eirunde Wasserschalen, meist mit zerklüftetemFelsengrunde. 
Innerhalb des Baumreviers umkränzen ihre Ufer noch dunkle Rot¬ 
tannen und Zirbelkiefergruppen. Die Einfassung des Seespiegels 
wird bald von schroffen Felsenzügen, aus denen unmittelbar die 
trotzigen Bergkegel aufsteigen, gebildet, bald verläust sie sich in 
feuchte, sauere Wiesen. In klaren Farben malen sich die Alpen 
in dem Kristallspiegel mit allen ihren grünen Gesimsen, dunklen 
Schluchten, blinkenden Schneespiegeln und unendlichen Felsenter¬ 
rassen ab. Es ist, als ob der Geist dieser Alpenwelt kühn aus dem 
Wasserauge blitze. Die oberen Wassersammler, die sich meistens 
von großen Gletscherfeldern nähren und an ihrem Rande keinen 
Baum, höchstens etliche Weiden, Heckenkirschen-, Alpenrosen- und 
Erlenbüsche hervorbringen oder auch ganz tot zwischen grauen 
Geschiebrevieren und Felsenwänden lagern, haben ein düsteres und 
tief-ernstes Ansehen. Gewöhnlich ohne alle Wellenbewegung mit 
dunkelgrünen Farbentönen, stimmen sie zum öden Geiste der Felsen¬ 
landschaft. Kein Nachen, kein Flüßchen hat sie je berührt, keine 
Seerose ihre breiten Blätter auf dem Spiegel gewiegt, kein Fisch 
zieht durch die grünen Tiefen, kein Wasservogel, oft nicht einmal 
ein Frosch sitzt an den steinigen Ufern. Den größten Teil des 
Jahres deckt sie Schnee und Eis und manches flache, ausgewölbte 
Becken friert bis auf den Grund zu. Mühsam und langsam taut 
der Frühling oder Sommer sie auf und kleine Felder oder Blöcke 
von Eis schwimmen noch auf ihnen, wenn schon die Alpenrosen¬ 
büsche auf ihren Felsen freudig die Glockensträuße im Winde wie¬ 
gen. Hin und wieder wirft noch eine späte Lawine haushohe, 
sprudelnde Schneemassen in ihre Becken oder ein später Frost über¬ 
zieht die kaum geschmolzene Flut mit einer klaren, aus Kristall¬ 
nadeln gewobenen Decke. 
Wahrscheinlich haben die meisten muldenförmigen Einsatt¬ 
lungen der Berg- und vielleicht auch der Alpenregion früher als 
Becken solcher stillen, griinen Seen gedient. Diese sind mit der 
Zeit abgeflossen. Das Gebirge hat seine Schicksale wie das Volk. 
Mit leisem Zahne sägen die abfließenden Wasser jene Querriegel, 
welche das Seebecken von der nächsten unteren Talplatte abtrennen,
	        
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