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Zur Naturwissenschaft und Technik.
ist für uns in jedem Augenblicke unseres Lebens denn doch die Sicherheit
und Genauigkeit, womit wir die Lage, Entfernung, Große der uns umgebenden
Gegenstände durch das Gesicht beurteilen. Denn diese Kenntnis ist die
wesentlich notwendige Grundlage für alle unsere Handlungen, mögen wir
nun eine feine Nadel durch ein verschlungenes Gewirre von Fäden hinführen
wollen oder eitlen Sprung von Fels zu Fels machen, wo von der richtigen
Abmessung der Entfernung, zu der wir springen müssen, vielleicht unser
Leben abhängt. Durch den Erfolg unserer Bewegungen und Handlungen,
die ja auf die nlittels des Sehens erlangten Anschauungsbilder der Außen¬
welt wesentlich gegründet sind, prüfen wir auch wiederum fort linb fort die
Richtigkeit und Genauigkeit dieser Anschauungen selbst. Wettn uns das
Gesicht über die Lage und Entfernung der gesehenen Gegenstände täuschen
sollte, so würde sich das sogleich zeigen, wenn wir das ant falschen Orte
Gesehetie ergreifen oder darauf zueilen wollten. Eben diese unablässige
Prüfung der Getiauigkeit der Gesichtsbilder durch unsere Handlungen ist es
nun auch, was lttls die felsenfeste überzetlgutlg von ihrer unmittelbaren Ntld
vollkommenen Wahrheit und Treue verschafft, eine Überzeugung, welche durch
keine noch so wohlbegründet erscheinenden Einwürfe der Philosophie oder
Physiologie erschüttert wird.
Dürfen wir tlns wundern, weitn biefen Erfahrungen gegenüber sich die
Meinung feststellte, das Altge sei ein optisches Werkzeug von einer Vollkommen¬
heit, der keilt ans Menschenhütlden hervorgegangenes Jnstruntent jentals gleich-
konunetl könne? wenn man durch die Präzision und die Konipliziertheit seines
Baues die Genailigkeit und die Mannigfaltigkeit seiner Leistttngen erklären
zu können glaubte? Übrigens niag es sein, wie es will, so bleibt doch jedes
Werk organisch bildender Naturkraft für uns unnachahmlich; und wenn jene
Kraft hier ein optisches Jnstruntent bildete, so ist das natürlich kein geringeres
Wunder, als jedes andere ihrer Werke, selbst tvenil sich geigen sollte, daß
menschliche Kunst optische Jnstrtttnente Herstellen kann, die als solche aller¬
dings einen höheren Grad von Vollendung erreicht habet! als das Auge.
Als optisches Jnstruntent betrachtet ist das Auge eine Camera obscura.
Jedermann kennt jetzt diese Art von Apparaten, wie sie die Photographen
anwenden, um Porträts oder Landschaften anszunehtnen.
Vergleichen mir nun das Auge mit künstlichen, optischen Instrumenten,
so fällt uns zunächst als ein Vorzug das sehr große Gesichtsfeld desselben
auf, welches für jedes einzelne Auge fast zwei rechte Winkel von rechts nach
links umfaßt (1600 von rechts nach links, 120" von oben nach unten), und
für beide zusattlmengenorntnen sogar tioch etwas niehr als zwei rechte Winkel
in horizontaler Ausdehnung. Das Gesichtsfeld unserer künstlichen Instrumente
ist meist sehr klein, um so kleiner, je stärker die Vergrößerung des Bildes.
Aber freilich ist auch ztl bemerken, daß wir von unseren künstlichen Instru¬
menten vollkommene Schärfe des Bildes in seiner ganzen Ausdehnilng zu